Zum Ende der Berliner Kältehilfesaison: Berliner Wohlfahrtsverbände sehen ein gut organisiertes, aber überfordertes System
Am 30. April endet die Berliner Kältehilfesaison 2022/23. In den vergangenen sieben Monaten stellten soziale Träger der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (LIGA Berlin) und kirchliche Organisationen in Kooperation mit den Bezirken im Durchschnitt täglich 1.043 Plätze zur Übernachtung für obdachlose Menschen zur Verfügung, davon ca. 650 „reine“ Kältehilfeplätze. Der Winter hat gezeigt: Das Kältehilfesystem ist gut organisiert, aber überfordert. Die Auslastung war so hoch wie seit 2016 nicht mehr.
In dieser Kältehilfesaison traten zwei zentrale Problemlagen deutlich zu Tage: Die Platzzahlen wurden zwar nominell aufgestockt. Auf dem angespannten Berliner Immobilienmarkt fanden die Träger aber tatsächlich weniger Raum als in der Vorsaison. So waren einige Einrichtungen in besonders kalten Nächten erheblich überbelegt. Durch die erfolgreiche Vermittlung der Koordinierungsstelle Kältehilfe und die überlebenswichtigen Kältebusfahrten bis Ende März erreichten auch Einrichtungen in den Außenbezirken regelmäßig Ihre Aufnahmemöglichkeiten.
Daneben traf die Kältehilfe in diesem Winter wieder vermehrt auf Menschen in herausfordernden Lebenssituationen: Personen mit psychischen Erkrankungen, mit Suchterkrankungen, pflegebedürftige und rollstuhlfahrende Menschen, die vielfältige Unterstützung benötigen. Eine Mammutaufgabe im Rahmen einer Kältehilfe, die ursprünglich als reiner Überlebensschutz angelegt war und bis heute keine regelhafte personelle Ausstattung für diese Versorgungsleistungen vorsieht.
Neben einem festen politischen Willen braucht es für die kommende Kältehilfesaison einen besonderen Kraftakt von Senat und Bezirken, stellt Andrea U. Asch, Federführung der LIGA Berlin und Vorständin der Diakonie Berlin Brandenburg-schlesische Oberlausitz fest: „Auch im Entwurf zum Koalitionsvertrag finden wir das Ziel, die Obdach- und Wohnungslosigkeit in Berlin bis 2030 abzuschaffen und mehr preiswerten Wohnraum zu bauen. Das begrüßen und unterstützen die Berliner Wohlfahrtsverbände weiterhin mit ihrer Expertise und tausenden Stunden unbezahlbarer haupt- und ehrenamtlicher Arbeit. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die möglichen Koalitionäre es damit ernst meinen. Das komplexe Berliner Kältehilfesystem braucht dauerhaft sichere geeignete Räumlichkeiten und eine auskömmliche Finanzierung für den Zielgruppen entsprechende fachliche Standards: Es kann nicht sein, dass Ehrenamtliche schwer pflegebedürftige Wohnungslose versorgen müssen.“
Der von Senatorin Katja Kipping am 16.06.2022 erstmalig einberufene Kältehilfegipfel unter Mitwirkung der Berliner Wohlfahrtsverbände war ein guter Auftakt für einen breit angelegten Diskussionsprozess.
Die AG Qualitätsentwicklung Kältehilfe unter Federführung der Koordinierungsstelle Kältehilfe hat im März 2023 Empfehlungen zur allgemeinen qualitativen Weiterentwicklung des Kältehilfeangebots verabschiedet. Bei den Empfehlungen geht es beispielsweise um Toleranz hinsichtlich Alkoholisierungsgrad, Hygiene und Sozialverhalten, lange Öffnungszeiten bis hin zu einer ganztägigen Nutzung, und um Aufnahmen auch während der Nacht. Die Empfehlungen stellen zudem klar, dass Kältehilfe nicht mehr ausschließlich durch Ehrenamt getragen werden kann. Für die Umsetzung dieser Empfehlungen braucht es ausreichender finanzieller Mittel. Hier fordern wir ein Bekenntnis des Senats, dass die qualitative Weiterentwicklung unkompliziert von den Trägern in Kooperation mit den Bezirken umgesetzt werden kann.
Generell fordern die Berliner Wohlfahrtsverbände, Wohnraummangel zu beenden, durch präventive Angebote Wohnungsverluste zu vermeiden, die sog. ASOG-Unterbringung gesamtstädtisch zu steuern und durch geeignete Instrumente Perspektiven aus den Unterkünften in eigenen Wohnraum zu ermöglichen sowie mit passgenauen Angeboten für bestimmte Zielgruppen wie stark körperlich oder seelisch beeinträchtigte Menschen, also Menschen, die Sucht- oder psychisch krank sind, im Rahmen des bestehenden Regelsystems Wohnungslosigkeit zu verringern bzw. zu beenden.
Hintergrund: Die Berliner Kältehilfe
Um Menschen vor dem Erfrieren zu schützen, gibt es die Berliner Kältehilfe. Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände, soziale Träger und Hilfsorganisationen stellen in Kooperationen mit den Bezirken in der Zeit von Oktober bis Ende April Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Berliner Kältehilfe wird vor allem vom herausragenden Engagement vieler Ehrenamtlicher getragen und wäre ohne Spenden nicht möglich.
Weitere Informationen: www.kaeltehilfe-berlin.de
Hintergrund: LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege
In der LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege haben sich in Berlin das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (Federführung 2023/24), der Caritasverband für das Erzbistum Berlin, die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Landesverband Berlin, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin, der DRK Landesverband Berliner Rotes Kreuz sowie die Jüdische Gemeinde zu Berlin zusammengeschlossen. In den sozialen Einrichtungen, Diensten und Projekten der LIGA sind in Berlin rund 107.000 hauptamtliche und etwa 53.000 ehrenamtliche Mitarbeitende tätig. Rund 150.000 Menschen sind zusätzlich persönliche Mitglieder in den Verbänden der LIGA Berlin, die wiederum ca. 1.200 Initiativen und Träger vertreten.
Weitere Informationen: www.ligaberlin.de
Downloads
Kontakt
Sebastian Peters
Pressesprecher LIGA Berlin/Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
030 820 97 110
0173 60 333 22