60 Jahre Freiwilligendienste
Jubiläumsveranstaltung des Landesarbeitskreises Brandenburg – Minister Steffen Freiberg im Gespräch mit Freiwilligen
Potsdam, 17.05.2024. Mehr als hundert Gäste nahmen an der gestrigen Jubiläumsveranstaltung zu „60 Jahre Freiwilligendienste“ in Brandenburg teil. FSJler, BFDler, Trägervertreter/-innen, ehemalige Freiwilligendienstleistende sowie Vertreter/-innen aus Wissenschaft und Politik kamen zum konstruktiven Austausch in Workshops, Diskussionen und zu Impulsvorträgen zusammen.
Diakonie-Direktorin Dr. Ursula Schoen: "Der positive Beitrag des FSJ für unsere Gesellschaft liegt seit 60 Jahren auf der Hand. Das sind 60 Jahre wertvolles Engagement für das soziale Miteinander. Trotz Umbrüchen und wechselnder politischer Systeme schafft der Freiwilligendienst eine soziale Kontinuität in Brandenburg. Bedürfnis und Bedarf nach sozialem Engagement dauern fort – und die Diakonie bleibt dafür eine stabile Unterstützerin. Brandenburg befindet sich bei der Anzahl der FSJ-Plätze im Verhältnis zu den Schulabgänger:innen allerdings noch immer auf dem vorletzten Platz aller Bundesländer. Zudem macht das Land den Jugendlichen die Entscheidung für ein FSJ nach wie vor nicht leicht. Das muss sich dringend ändern. Nicht nur junge Menschen aus finanziell und sozial benachteiligten Familien brauchen ein angemessenes Entgelt und Zugang zum kostenlosem Nahverkehr, damit das FSJ attraktiv bleibt. Das FSJ lohnt sich nicht nur für die Freiwilligen selbst, sondern für die ganze Gesellschaft! Es vermittelt Verantwortungsbewusstsein, Teamfähigkeit und viele weitere wichtige soziale Kompetenzen für zukünftige Generationen. Das FSJ trägt zu einem kritischen Bewusstsein für die Gesellschaft bei und hilft demokratische Werte zu verinnerlichen. In der aktuellen rechtspopulistischen Bedrohungslage im Superwahljahr dürfen wir dieses essentielle soziale Potential der Freiwilligendienste erst recht nicht vernachlässigen. Wir als Diakonie wollen die Erfolgsgeschichte des FSJ zusammen mit der Landesregierung weiterschreiben und fordern darum jetzt: Freiwilligendienste stärken!"
Steffen Freiberg, Minister für Jugend, Bildung und Sport des Landes Brandenburg, unterstrich in seiner Eröffnungsrede nicht nur die gesellschaftliche Notwendigkeit der Freiwilligendienste, sondern nahm anschließend auch an einem Austausch mit Felix Krüger, FSJler im Fahrdienst in Beelitz, und Luisa Krause, FSJlerin im Familien- und Jugendzentrum in Stahnsdorf teil. Sie berichteten u. a. von der Erlangung wichtiger sozialer und persönlicher Kompetenzen für die weitere berufliche Laufbahn bereits in jungen Jahren, dem Meistern von Herausforderungen, der gestiegenen Toleranz gegenüber anderen Menschen, der oft fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung freiwilliger Arbeit und der unzureichenden Finanzierung insbesondere für Menschen mit geringem Elterneinkommen. Minister Freiberg: „Ich nehme aus diesem Gespräch unter anderem den Hinweis auf den möglichen Zugang zu Wohngeld mit. Vielleicht kann es gelingen, Automatismen für den Anspruch auf bestimmte Unterstützungen zu entwickeln.“ Versprechen könne er aber nichts.
Nach dem umfangreichen Workshop-Angebot zu den Themen Stressprävention, Inklusion, Songwriting, Rechtspopulismus, Persönlichkeitsentwicklung und Demokratiebildung im Freiwilligendienst, erläuterte Prof. Dr. Tim Wersig (Medical School Berlin) empirische Daten. So zeigte er auf, dass Freiwilligendienste kaum von Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen absolviert werden, die meisten (Fach-)Abi besäßen. Hier sei viel Luft, um auch Menschen mit anderen Abschlüssen und aus anderen sozialen Milieus zu erreichen. „Zudem überwiegt heute – anders als noch vor zwanzig Jahren – das Persönliche gegenüber dem Gemeinwohl. Junge Menschen möchten sich persönlich weiterentwickeln, Zeit sinnvoll überbrücken, sich orientieren, Eigenständigkeit erfahren – der Dienst für die Gesellschaft ist dabei zweitrangig geworden.“ Dies sei kein Nachteil, sondern für die Persönlichkeitsentwicklung und die berufliche Zukunft wichtig. Hier könne eine daran angepasste Form der Ansprache und der Kommunikation bei der Gewinnung von Freiwilligen helfen.
Konstruktiv wurde es bei der abschließenden Podiumsdiskussion mit Katrin Krumrey (Kinder- und Jugendbeauftragte von Brandenburg), Felix Krüger (FSJler Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.), Marie Beimen (Kampagne "Freiwilligendienste stärken"), Prof. Dr. Tim Wersig und Detlef Graupner (Leiter Fachstelle "Freiwilligendienste in Sachsen").
Aus dieser gingen folgende Kernforderungen hervor:
- Eine auskömmliche Finanzierung eines FWD für Freiwillige und Träger, auch für Menschen mit wenig Elterneinkommen, durch eine stärkere Förderung von Bund und vor allem Ländern;
- Mehr gelebte Wertschätzung in der Gesellschaft und innerhalb der Träger gegenüber Freiwilligendienstleistenden
- Anerkennung der Relevanz eines FSJ zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen in Hinblick auf deren Wert für die Zukunft unserer Gesellschaft
- Gesetzlicher Teilzeitanspruch
- Kein Ersatz von Fachkräften bei der Personalplanung in den Einrichtungen und eine entsprechende Behandlung und Betreuung der Freiwilligen während des Dienstes
„In einer Zeit, die von Jugendlichen als krisenhaft empfunden wird, ist der unbezahlbare Wert eines FSJ nicht hoch genug einzuschätzen. Die rund 900 Jugendlichen, die jedes Jahr nach der Schule in Brandenburg einen Freiwilligendienst absolvieren, eignen sich während des Jahres Verantwortungsbewusstsein, Teamfähigkeit, Belastbarkeit und viele weitere wichtige soziale Kompetenzen an. Sie verinnerlichen zudem demokratische Werte und rund 2/3 aller Jugendlichen entscheiden sich nach dem Dienst für eine Ausbildung oder ein Studium im sozialen Bereich. Wollen wir das Miteinander in unserem Sozialstaat stärken und Jugendlichen Orientierung bieten, dann ist das FSJ auch für die nächsten Jahrzehnte unverzichtbar“, sagt Sebastian Hennig, Pädagogischer Referent des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg.
Neben viel Musik der Beatboxer The Razzzones aus Berlin, bot der Tag insgesamt viel Raum für Gespräche und Austausch. Abgerundet wurde er mit dem Anschnitt einer (veganen) XXL-Jubiläumstorte.
Über 60 Jahre Freiwilligendienste in Deutschland:
Die Freiwilligendienste sind eine besondere und geregelte Form des bürgerschaftlichen Engagements. Anfang und Ende des Dienstes, Dauer und Umfang, Inhalte und Aufgaben, Ziel und Art der freiwilligen Tätigkeit wurden im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) seit 1964 und im Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) seit 1993 gesetzlich geregelt. Auch der finanzielle und organisatorische Rahmen, die rechtliche und soziale Absicherung der Freiwilligen sowie die Orte und Träger wurden dabei berücksichtigt. Mit seiner Einführung im Jahre 1964 war Deutschland Vorreiter in Europa für einen gesetzlich geregelten Freiwilligendienst. Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es die Freiwilligendienste in Brandenburg.
Die Fraktionsvorsitzenden zum Jubiläumsbesuch in der Diakonie
Im Rahmen des Jubiläumsjahr gab es viel Anerkennung vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Daniel Keller, MdL. Am 17. Mai war er zu Gast in der Kita "Potsdam Kids" (Träger: EJF) in der Teltower Vorstadt in Potsdam, bekam eine spannende Führung und nahm sich viel Zeit, Leif Erik Nettner und Luca Henkel (beide 17 Jahre) aufmerksam zuzuhören. Beide sind sehr zufrieden mit ihrer Entscheidung, haben sich in der Kita und durch die Seminare der Diakonie stark weiterentwickelt und wollen beide im Anschluss ihre Ausbildung im Sozialen Bereich machen. Daniel Keller, der aus seinem Ehrenamt im Sportverein das FSJ bestens kennt, war voll des Lobes: es sei beispielhaft, dass über die Diakonie zwei junge Männer den Weg in eine Kita gefunden hätten. Der Fraktionsvorsitzende erklärte, dass die SPD ganz bewusst in ihrem Regierungsprogramm für die Landtagswahl im September eine Erhöhung der Landesfinanzierung des Jugendfreiwilligendienste vorgesehen habe.