ZUSAMMEN STREITEN
Unser Land verändert sich schon seit einigen Jahren. Das ist für jeden und jede von uns schwierig. Leider gibt es nicht auf alle Ängste vor der Zukunft, vor fremden Menschen, vor Einsamkeit und Abgehängtsein einfache Antworten.
Immer mehr Menschen wünschen sich radikale Lösungen und nehmen dafür menschenfeindliche Ausgrenzungen und sogar eigene Nachteile in Kauf.
Die Einrichtungen unserer Diakonie setzen sich in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz aktiv für Toleranz, Vielfalt, für die Gleichwertigkeit aller Menschen ein. Und für eine offene, zugewandte Gesprächskultur.
Diese Seite gibt mit praktischen Beispielen und Aussagen Tipps, wie wir mit einer ganz persönlichen diakonischen Haltung gute Gespräche führen können und bietet klare Positionen im Umgang mit extrem rechten und rechtspopulistischen Parteien oder Organisationen an.
Haben Sie diesen Tab gerne immer in Ihrem Smartphone geöffnet und zeigen Sie Haltung – für eine gute Zukunft mit Platz für alle Menschen und offene Gespräche.
Miteinander reden
- Offenheit, Respekt, Verständnis zeigen: Das heißt nicht, dass ich zwangsläufig mit dem Gesagten einverstanden bin. Ich zeige Grenzen auf, wo es nötig ist und bleibe dialogbereit, wo es möglich ist.
- Zuhören: So fühlt sich mein Gegenüber thematisch und emotional ernst genommen.
- Ich gebe das Gesagte in eigenen Worten wider.
- Ich spreche die Gefühle meines Gesprächspartners an. Beispiel: »Ich sehe dir an, wie sehr dich dieses Thema aufwühlt.«
- Ich überlege, welches Bedürfnis könnte dahinter stecken (bspw. der Wunsch nach Zugehörigkeit oder Sicherheit).
- Ich frage bei Unklarheiten nach. - Offene Fragen stellen: Diese beginnen mit W-Fragewörtern, »Wie …?« oder »Woran …?«. Ich vermeide Wörter wie »weshalb, warum, wieso«. Sie stellen Ursachen in den Mittelpunkt und lösen meist Abwehr aus.
- Grundsätzlich davon ausgehen, dass es mein Gegenüber gut meint bzw. davon ausgehen, dass es einen triftigen Grund für dessen Position gibt
- Gemeinsame Werte finden
- Zustimmen, wenn ich die Meinung des:der Anderen teile
- Selbstkritisch sein: Ich setze mich mit Gegenargumenten auseinander
- Weich zum Menschen, verbindlich im Ton
- Nicht belehren
- Verständlich sprechen
- Gelassenheit und Leidenschaft verbinden: Auf Provokation nicht mit Empörung reagieren, lieber mit Leidenschaft für die eigenen Werte einstehen.
- Falls notwendig: Auf gemeinsame Gesprächsregeln verständigen.
- Ich-Botschaften mit persönlicher Betroffenheit und Wunsch formulieren: »Wenn du sagst … bin ich …, weil … und ich möchte/
wünsche mir …«
Beispiel: »Wenn du sagst, dass alle Muslime Terroristen sind, bin ich verärgert, weil damit alle Muslime über einen Kamm geschert werden und ich mir wünschen würde, dass wir zwischen Muslime und Terroristen klar unterscheiden.«
Haltung ist eine innere Grundeinstellung. Haltung gibt uns Kraft für etwas einzustehen, die Welt zu gestalten, auch und gerade wenn wir mit Gegenwind konfrontiert sind. Sie ist der Kompass der uns anzeigt, was wir als richtig oder falsch empfinden. Jeder und jede hat eine Haltung – aber nicht alle kennen ihre Haltung.
Gerade in Gesprächen zu strittigen Themen, wenn wir auf Parolen oder menschenfeindliche Äußerungen treffen, hilft es sehr, die eigene Haltung vermitteln zu können.
Dafür müssen wir uns überlegen: Was ist mir wichtig? Was halte ich für falsch? Welche Werte ermöglichen gutes Zusammenleben in unserer Gesellschaft? Wie ist meine Haltung zu einem wichtigen Thema in meiner Arbeit oder meinem privaten Umfeld?
Wir finden Orientierung im christlichen Menschenbild, in unserem Grundgesetz, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder in der Berufsethik der Sozialen Arbeit:
- Wir orientieren uns an den zentralen Botschaften der Bibel »Vor Gott sind alle Menschen gleich.« und »Ihnen allen kommt trotz aller Unterschiedlichkeit dieselbe Würde zu.«
- Der Widerhall dieser christlichen Haltung findet sich im Grundgesetz: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich«.
- Daher integriert die Diakonie Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Alter, religiöser oder kultureller Zugehörigkeit, sexueller Orientierung oder körperlicher, seelischer, geistiger Beeinträchtigung oder Sinnesbeeinträchtigung als Nutzer:innen ihrer Angebote. Gelebte Nächstenliebe ist nicht an Bedingungen geknüpft.
- Soziale Arbeit fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt, Teilhabegerechtigkeit und die Selbstbestimmung von Menschen. Ihre Grundlage sind die Menschenrechte. Soziale Arbeit sieht sich in der Verantwortung, Vielfalt zu achten.
...im Umgang mit rechtspopulistischen/-extremen Parteien und Organisationen
- Unser diakonisches Leitbild setzt rote Linien im Umgang mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Positionen. Es ist Leitungsaufgabe und -verantwortung, diese im Umgang mit Mitarbeitenden, Klient:innen und Dienstleistenden wirksam werden zu lassen. Diese roten Linien sind auf allen Ebenen und regelmäßig in geeigneten, zugänglichen und barrierearmen Formaten zu vermitteln. Dazu zählt auch die Aufklärung über Inhalte/Motive/Strategien und politische Langzeitziele rechtspopulistischer/-extremer Parteien und Organisationen.
- Keine diakonisch organisierte Bühne für und keine verbandliche Zusammenarbeit mit Vertreter:innen rechtspopulistischer/-extremer Parteien. Anfragen von Einrichtungsbesuchen werden abgelehnt.
- Vor Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und Gesprächen auf Initiative rechtspopulistischer Parteien werden INTENTION, THEMA, ZIELE, ABLAUF und TEILNEHMENDENKREIS der Veranstaltung kritisch geprüft. Die Entscheidung zur Teilnahme liegt bei der Geschäftsführung. Eine Information an das DWBO ist wünschenswert. Es muss damit gerechnet werden, dass die Teilnahme für die Öffentlichkeitsarbeit des Veranstalters genutzt wird.
- Sympathisant:innen rechtspopulistischer Positionen und Vorurteile in der Mitarbeiterschaft oder Klientel werden nicht kategorisch ausgeschlossen. Kritischer Austausch und Aufklärung stehen an erster Stelle. Menschenfeindliche öffentliche Äußerungen von Mitarbeitenden stehen im Widerspruch zu unseren diakonischen Leitbildern.
Nutzen Sie die Räumlichkeiten Ihrer Organisation zur Förderung demokratischer Kultur. So unterstützen Sie Ihre Mitarbeitenden und Klient:innen ganz aktiv dabei, Haltung zu zeigen. Schaffen Sie eine Atmosphäre, in der Personen mit menschenfeindlichen Einstellungen mit Widerspruch rechnen und sich mit ihren Positionen kritisch auseinandersetzen müssen:
- Hängen Sie Ihr Leitbild, Ihre Hausordnung und Ihre Compliance-Richtlinien mit Bezug auf Rechtspopulismus, -extremismus an prominenter Stelle aus. Die Werte Ihres Leitbildes werden in der Hausordnung auf eine praktische Ebene gebracht. Sie hat Signalwirkung und ist eine verlässliche Handlungsgrundlage für Mitarbeitende. Mit entsprechenden Klauseln sorgen Sie auch für Klarheit zum Umgang mit menschenverachtenden Äußerungen und Erscheinungsformen.
- Beispiel: »Wir behalten uns vor, von unserem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen den Zutritt zu unserem Gebäude zu verwehren, des Gebäudes zu verweisen und von unseren Veranstaltungen auszuschließen, wenn …
- … diese Personen sich diskriminierend, demokratiefeindlich, rassistisch und anders menschenverachtend äußern. Das gilt auch für das Tragen und Zeigen von extrem rechten, nationalsozialistischen und antisemitischen Bekleidungsmarken, Tattoos, Symbolen und Ähnlichem.
- … diese Personen extrem rechten Parteien oder Organisationen angehören, der extrem rechten Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind.«
- Wenn es Ihre Räumlichkeiten zulassen: Verleihen Sie Ihren Werten und Visionen auch durch entsprechende Ausstellungen und Plakate Ausdruck. Greifen Sie hierzu gerne auf Kampagnenmaterial von DWBO und EKBO zurück.
- Fahnenhissung, Beispiele...
- 17. Mai Regenbogenfahne zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transfeindlichkeit
- 25. November Fahne von Terres des Femmes zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
- Nutzen Sie auch Ihre digitalen Räume (Intranet, Website, Social Media), um klar nach innen und außen die Grundhaltung Ihrer Einrichtung zu vermitteln.
Umgang mit Pauschalisierungen, Parolen und menschenfeindlichen Äußerungen
Leider gibt es kein Patentrezept für solch schwierige Situationen. Haltung zeigen ist herausfordernd, kann aber auch »erlernt« werden. Achten Sie jedoch immer auch auf sich selbst. Reden ist wichtig, aber nicht um jeden Preis! Folgende Fragen sollen Sie unterstützen, Klarheit über die Gesprächssituation und das weitere Vorgehen zu gewinnen:
- Wieviele Personen nehmen am Gespräch teil? Ein konstruktives Gespräch vor »Publikum« ist schwerer zu führen als nur zu zweit.
- Kenne ich die Person und will/muss ich mit ihr weiter in Kontakt bleiben?
- Welche Interessen haben ich und mein Gegenüber?
- An wen richtet sich die Aussage? Seien Sie solidarisch mit Betroffenen.
- Mit wem lohnt es sich zu diskutieren? Menschen mit einem geschlossenen Weltbild werden Sie nicht erreichen. Mit besorgten und verunsicherten Personen macht ein aufrichtiges Gespräch Sinn.
- Wie ist meine Tagesform und Stimmung? Es ist in Ordnung zu sagen: »Lass uns das Gespräch ein anderes Mal führen.«
- Was sind meine eigenen Grenzen und Betroffenheiten?
- Habe ich Zeit oder handelt es sich um eine Tür-und-Angel-Situation?
- Diskutieren und Argumentieren
+ Ohne Debatten keine Demokratie. Gute Gespräche sind ein wichtiger Weg für Problemlösungen. Im persönlichen Austausch können Sie für Ihre Werte und Vorstellungen von einer guten Zukunft werben.
– Diskussionen sind nicht immer möglich und nicht immer der richtige Weg. Für ein zielführendes Gespräch müssen alle die Bereitschaft zu einem fairen Umgang miteinander haben. Es gibt Personen, die keine Argumente zulassen (geschlossenes Weltbild). Hier lohnt sich keine Diskussion.
- Positionieren und Grenze ziehen
+ Sinnvoll, wenn Sie sich nicht in der Lage sehen, gerade eine Diskussion zu führen oder vermuten, dass ein Gespräch keinen Sinn ergibt. Und wenn Sie die Aussage nicht im Raum stehen lassen wollen und/oder Betroffene unterstützen möchten. Dies zeigt auch Wirkung auf Zuhörende.
– keine
- Absichtliches Ignorieren
+ »Man muss nicht über jedes Stöckchen springen«, heißt es im Volksmund. Ohne meine Reaktion bekommt mein Gegenüber weniger Aufmerksamkeit. Ignorieren kann Souveränität ausstrahlen.
– Ignorieren kann als stillschweigende Zustimmung, Desinteresse oder Überheblichkeit interpretiert werden.
- Nachfragen
- Auf einem Thema bestehen
- Perspektivwechsel
- Konsequenzen aufzeigen: »Zu Ende gedacht, bedeutet das ...«
- Nicht auf Logik des Gegenübers einlassen, wenn Personengruppen gegeneinander ausgespielt werden
- Konkrete Erlebnisse einfordern, von gegenteiligen Erfahrungen erzählen
- Auf Fakten bestehen, nach Quellen fragen
- Positive Visionen und eigene Werte einbringen
- Irritation, Humor, Ironie, Sarkasmus
- Erfahrung ernst nehmen, andere Perspektive anbieten
- Mit Optimismus begegnen, aufzeigen, was gut läuft, in letzter Zeit erreicht wurde
Praxisbeispiele
Wir haben Aussagen unterschiedlicher Art gesammelt: Manche sind eindeutig menschenfeindlich, andere bewegen sich eher im Graubereich oder könnten Ausgangspunkt für eine weiterführende Diskussion zu politischen Themen sein.
Alle Zitate stammen stammen aus dem diakonisch-kirchlichen Bereich oder wurden in Anwesenheit unserer Mitarbeitenden getätigt.
Thema: Abwertung von Menschen mit geistiger Behinderung, Teilhabe
Taktik: Selbstbestimmung und Grundrechte in Frage stellen
So können Sie reagieren:
Konsequenzen aufzeigen, das Gesagte zu Ende denken, zuspitzen,positive Vision aufzeigen
»Ich finde den Gedanken schwierig. Wenn wir das zu Ende denken, soll dann ein Intelligenztest darüber entscheiden, wer das Wahlrecht erhält und wer nicht?«
»Wenn Sie eine mögliche Beeinflussung als Kriterium nehmen, müssten wir wohl einem Großteil der Menschen das Wahlrecht entziehen.«
»Statt über mögliche Beeinflussungen zu spekulieren, will ich lieber etwas tun: Die Beschäftigten soweit zu unterstützen, dass sie selbstbestimmt wählen gehen können. So kommen wir einer inklusiven Gesellschaft ein Stück weit näher.«
Thema: Alltagsrassismus, Fachkräftemangel
Taktik: Vorurteil, Parole
So können Sie reagieren:
Sorgen ernst nehmen, auf Fakten hinweisen, Konsequenzen aufzeigen
»Wenn Sie Sorge haben, dass die Ärzte nicht gut behandeln, dann kann ich
sie beruhigen: Diese sind selbstverständlich alle kompetent und müssen dieselben Anforderungen erfüllen wie alle anderen auch. Ich persönlich bin
zudem sehr froh um die neuen Kolleg:innen. Auch wenn es mit der Sprache noch ein wenig hapert. Ohne sie wüsste ich nicht, wie wir den Klinikbetrieb
aufrechterhalten könnten.«
»Googeln Sie doch gern selbst mal, wie die Situation in Krankenhäusern aussieht. Stichwort Pflegenotstand, Fachkräftemangel.«
»Würden Sie lieber von einem Arzt behandelt werden, der aus einem anderen Land kommt oder erst nach vielen Wochen, wenn überhaupt, weil die Fachkräfte fehlen?«
Thema: (Alltags)Rassismus, Kulturalisierung/Ethnisierung
Strategie: Einteilung in „Die“ und „Wir“ Gruppen, pauschale Vorurteile
So können Sie reagieren:
die eigene Haltung vertreten; eine Grenze ziehen
»Ich finde es unfair, Menschen pauschal nach ihrer Herkunft zu verurteilen.«
»Ich denke nicht, dass es zu einer Lösung beiträgt, Menschen mit Vorurteilen zu begegnen.«
»Ich wünsche mir von einer Person in einer Vorbildrolle wie Sie, dass sie alle Menschen mit dem gleichen Respekt behandelt, unabhängig von ihrer Herkunft und nicht vorverurteilt.«
Thema: Alltagsrassismus, Pflege
Taktik: Vorurteile, Behauptungen
So können Sie reagieren:
sich solidarisch verhalten, eigene Werte und Haltung vertreten, Perspektivwechsel
»›Diese Polin‹ ist meine Kollegin und ich möchte nicht, dass Sie so abwertend über sie sprechen. Ich werde aber das Thema der Verständigungsschwierigkeiten in unserem Team besprechen.«
»Ich finde es sehr unfair meiner Kollegin gegenüber, ihr Diebstahl zu unterstellen. Das sind Vorurteile, die Menschen Unrecht tun und sie verletzen können. Stellen Sie sich einmal vor, das würde Ihnen passieren und niemand würde Sie pflegen wollen.«
Thema: Alltagsrassismus, eigene Privilegien, »gut gemeint, ist nicht gut gesagt«
Taktik: Paternalismus, Relativierung/Verneinung von Rassismus
So können Sie reagieren:
Konsequenzen aufzeigen, auf Privilegien hinweisen, Aussage und Person trennen
»Rassismus hat nichts damit zu tun, ob ich meinen Kopf hochtrage oder wie selbstbewusst ich bin. Ich empfinde Deine Aussage als ein Verdrehen der Realität und fühle mich nicht ernst genommen.«
»Ich schätze dich und nehme an, dass du es nicht böse gemeint hast. Ich würde mir von dir aber, als jemanden der das Privileg hat, dass ihm solche Dinge nicht passieren, Unterstützung und nicht Relativierung wünschen.«
Thema: Antiziganismus (Rassismus gegenüber Rom:nja und Sint:ezze)
Taktik: Falschauskunft
So können Sie reagieren:
Sachlage klarstellen, Respekt einfordern, Grenze ziehen
»Ehrlich gesagt ärgert mich Ihre Aussage. Erstens würde ich Sie bitten, freundlicher mit dem Klienten zu sprechen. Zweitens sind Sie verpflichtet bei Obdachlosigkeit eines Menschen tätig zu werden und ihm eine Unterkunft zuzuweisen - egal woher die Person kommt.«
»Habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie diesem Mann, das ihm zustehende Recht auf Unterbringung verwehren? Ich möchte bitte mit Ihrem Vorgesetzten sprechen. Entweder kennen Sie sich nicht mit den gesetzlichen Grundlagen aus oder Sie diskriminieren ihn bewusst aufgrund seiner rumänischen Herkunft.«
(Hintergrund: Antiziganismus findet auch auf staatlicher Ebene statt. Anträge von Personen die als Rom:nja und Sint:ezze wahrgenommen werden, aus Bulgarien oder Rumänien stammen, werden von behördlichen Mitarbeitenden mitunter besonders restriktiv bearbeitet. Dabei kommt es auch vor, dass sie mit Fehlinformationen zum Freizügigkeitsgesetz und der Anti-Diskriminierungsrichtlinie der EU konfrontiert werden.)
Thema: Antijudaismus (Jüd:innenfeindschaft aus religiösen/christlichen Motiven)
Taktik: Täter-Opfer-Umkehr
So können Sie reagieren:
Klarstellung
»Du hast Recht, viele transportieren darüber ihren Antisemitismus. Das scheinbare Auserwähltsein wird dabei komplett aus dem Kontext gerissen: Es wird als Absonderung mit besonderen Privilegien interpretiert, als würden sich Jüd:innen dadurch für etwas Besseres halten. Das Auserwähltsein gründet im Bund Gottes mit Abraham und der Offenbarung der Thora. In der biblischen Tradition ist damit eine Bürde und ein Auftrag verbunden, die Gesetze der Thora zu befolgen. So sollen Jüd:innen Vorbild für andere sein. Das macht sie damit noch nicht zu etwas Besserem. Im Neuen Testament finden wir übrigens einen ähnlichen Gedanken: „Ihr seid das Salz der Erde! Ihr seid das Licht der Welt!«
Thema: Antijudaismus (Jüd:innenfeindschaft aus religiösen/christlichen Motiven)
Taktik: Christliche Überhöhung
So können Sie reagieren:
(Theologische) Position beziehen
»Man kann nicht das eine, ohne das andere haben. Das Neue Testament ist voller Altem Testament. Beispielsweise sagt Jesus, kein Jota an der Thora soll verändert werden. Auch das für das Christentum so zentrale Liebesgebot kommt aus dem Alten Testament. Das Alte Testament ist nicht überholt, sondern lebt in uns und dem rabbinischen Judentum fort.«
Thema: Arbeitslosigkeit, soziale Frage, «Sozialschmarotzertum», Faulheitsdebatte
Taktik: Behauptungen, Parolen
So können Sie reagieren:
gegenteilige Erfahrungen einbringen, nachfragen, konkrete Beispiele einfordern, auf Fakten/Quellen bestehen, ggf. gemeinsam recherchieren
»Ich kenne Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit von Armut und Wohnungslosigkeit bedroht sind. Sie können von staatlichen Hilfen jedoch
oft kaum ihre Existenz sichern.«»Wie kommen Sie darauf? Auf welche konkreten Fälle beziehen Sie sich?«
»Wo haben Sie das gelesen oder gehört?«
»So wie ich es sehe, kursieren viele Falschdarstellungen und
Desinformationen zu diesem Thema.«
Thema: »die« Politiker:innen, Angst vor wirtschaftlicher Not
Taktik: Bedrohungsszenario, Verallgemeinerung
So können Sie reagieren:
Erfahrungen und Ängste ernst nehmen, andere Erklärungen anbieten
»Ich kann deine Sorge wegen der steigenden Preise verstehen. Wie könnte man das aus Deiner Sicht verhindern?«
»Ich kann dich zum Teil verstehen. Ich bin auch mit einigen Entscheidungen von Politiker:innen unzufrieden. Ich finde es aber schwieirig, alle als eigennützig bis korrupt darzustellen. Ich glaube nicht, dass das auf die Mehrheit der Politiker:innen zutrifft. Außerdem brauchen wir sie für unsere Demokratie. Wenn wir sie aber immer nur kritisieren und in ein zweifelhaftes Licht rücken, dann habe ich Sorge, wer sich überhaupt noch diesen für unsere Demokratie wichtigen Job antun möchte.«
Thema: Eigene Privilegien, Zusammenleben im Dorf, Sozialraum
Taktik: (ggf.) Verharmlosung von (extrem) rechten Einstellungen
So können Sie reagieren:
nachfragen, die eigene Haltung vertreten, Perspektivwechsel anregen
»Mir ist klar, dass ich als Demokrat andere Einstellungen bis zu einem gewissen Punkt auch aushalten muss. Rechts kann einiges und für mich auch sehr schwierige Positionien bedeuten. Wie würdest du die Einstellungen dieser Personen beschreiben? Bis wohin kann ›rechts‹ für dich zur heilen Welt gehören und ab wann ist eine Grenze erreicht?«
»Ich persönlich habe meine Probleme, wenn ich ›heile Welt‹ und ‚einige Rechte‘ in einem Satz höre. Ich kann mir vorstellen, dass das erst recht für Menschen aus Einwandererfamilien so ist.«
»Für mich hört sich das nicht ganz schlüssig an. Auf der einen Seite sprichst du von heiler Welt. Auf der anderen Seite relativierst du das mit ›eigentlich‹ und ›schon einige Rechte‹. Was meinst du eigentlich?«
Thema: Rassismus, Flucht und Asyl
Taktik: Beleidigung, Diskriminierung, Vorwurf
So können Sie reagieren:
als betroffene Person eine Grenze ziehen, als Begleitung sich solidarisch verhalten und Grenze ziehen
»Ich komme zu Ihnen für eine medizinische Behandlung, nicht um rassistisch beleidigt zu werden.« (Betroffene)
»Ihre Aussage macht mich fast sprachlos. Sie scheinen Ihren Auftrag als Arzt falsch zu verstehen: Sie sind für die Gesundheit Ihrer Patient:innen da und nicht um diese rassistisch zu diskriminieren. Ich werde Sie der Ärztekammer melden.« (Begleitung)
Thema: Flucht und Asyl, Sozialneid nach unten
Taktik: Behauptungen, Gerüchte
So können Sie reagieren:
Perspektivwechsel anregen, sich solidarisch verhalten
»Menschen, die vor Krieg geflohen sind, müssen häufig auch Verwandte und Freundinnen und Freunde zurücklassen. Ich finde es menschlich sehr nachvollziehbar, diese auch zu besuchen.«
»Ich finde es mehr als legitim, seine Lieben besuchen zu fahren. Darüber hinaus haben diese vermeintlichen Urlaube auch praktische Gründe: Die Menschen suchen nach Anküpfungspunkten für eine Rückkehr in ihr Land. Das können sie oft nur vor Ort ausloten.«
Thema: Homophobie
Taktik: Fiktion von der »Verschwulung« der Jugend, vermeintlicher Kinder-/Jugendschutz
So können Sie reagieren:
eigene Werte einbringen, Konsequenzen aufzeigen
»Wenn Sie sagen, dass ein schwuler Pfarrer kein gutes Vorbild für unsere Jugend ist, dann finde ich das persönlich sehr traurig. Ich schätze ihn sehr. Ein Vorbild zeichnet sich für mich dadurch aus, welche Werte es vertritt und wie es diese vorlebt. Zu welchem Geschlecht sich die Person hingezogen fühlt, spielt da keine Rolle für mich. Ich fände es gut, wenn wir seine Werte und seine Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellen.«
»Ein gutes Vorbild zeichnet sich für mich dadurch aus, dass es Werte vorlebt und Orientierung gibt. Nicht dazu gehören Vorurteile gegenüber Schwulen.«
»Wenn Sie sagen, dass unser Pfarrer, der schwul ist, kein gutes Vorbild für unsere Jugend ist, dann bin ich auch um sein Wohlergehen besorgt. Ich frage mich dann, ob er in dieser Gemeinde genauso geschützt ist, wie andere Menschen auch.«
Thema: Lokale Autonomie, Stadt-Land
Taktik: „Wir“ und „Die“-Einteilung
So können Sie reagieren:
teilweise Zustimmung, Verständnis, „Wir“ und „Die“ aufbrechen
»Ich kann ihre Abwehr verstehen. Oft werden Entscheidungen getroffen, ohne dass die Menschen vor Ort gehört worden wären. Ich bin ganz bei Ihnen: wir brauchen die lokalen Erfahrungen. Wenn wir jetzt aber weiterkommen wollen, sollten wir offen füreinander sein. So können wir alle unsere Perspektiven einbringen und gemeinsam einen Schritt nach vorne gehen.«
Thema: Meinungsfreiheit, vermeintliche Zensur
Taktik: Behauptung, Opfer von Zensur zu sein, mutig zu sein und trotzdem seine Meinung zu äußern
So können Sie reagieren:
konkrete Erlebnisse erfragen, gegenteilige Erfahrungen einbringen
»Was genau dürfen Sie denn nicht sagen?«
Wenn nun eine Auflistung von Themen kommt, über die man nicht mehr sprechen dürfe, könnten Sie sagen: »Sie dürfen alles sagen. Es darf nur nicht gegen Gesetze verstoßen. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht Widerspruchsfreiheit.«»Ich persönlich habe den Eindruck, dass Menschen alles Mögliche sagen, manchmal sogar Dinge, die andere Menschen abwerten oder tief verletzen. Von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit ist das aus meiner Sicht sehr weit entfernt.«
Thema: Pflege, Rassismus
Strategie: Vorurteile, Behauptungen
So können Sie reagieren:
Irritation erzeugen, Perspektivwechsel anregen; Person und Aussage trennen
»Ich denke, wir müssen die Alten vor allem vor solchen Vorurteilen schützen.«
»Wir haben nur kompetente Fachkräfte im Team, die die Pflege der Alten sicherstellen. Offensichtlich haben wir aber ein Problem mit Vorurteilen bei uns im Team.«
»Ich arbeite schon lange wirklich gern mit dir zusammen. Diese abwertenden Vorurteile von dir finde ich erschreckend. Gerade weil Du ihn ja noch nie gesehen hast. Wir sollten allen hier mit dem gleichen Respekt begegnen – das wünschst du dir doch auch (für dich).«
Kind trägt Thor Steinar Kleidung (in Kita)
Thema: rechtsextreme Bekleidungsmarken/Codes
Taktik: Normalisierung rechtsextremer Codes, (Propaganda)
So können Sie reagieren:
Nachfragen, Konsequenzen aufzeigen; auf Leitbild, Hausordnung verweisen
»Ihr Kind ist heute mit der Marke Thor Steinar gekommen – war das Absicht?«
»Thor Steinar ist aktuell eine rechtsextreme Marke, die wir hier in unserer Einrichtung nicht dulden. Wir möchten, dass diese Kita ein sicherer Ort für alle ist und bitten Sie daher, diese Marke ihrem Kind nicht mehr anzuziehen, wenn sie es bringen.«
»Wie in unserem Leitbild formuliert, dulden wir keine rechtsextremen Marken, Codes oder Symbole, ebenso wenig wie Äußerungen dieser Art.«
Thema: Sexismus
Taktik: Leugnung, Relativierung, Individualisierung
So können Sie reagieren:
Grenze ziehen, sich solidarisch verhalten
»Dann würde mich brennend interessieren, was Ihre Erklärung ist, dass unsere Podien fast ausschließlich mit Männern besetzt sind.«
»Und Ihr Problem ist ganz offensichtlich, dass Sie strukturellen Sexismus nicht erkennen. Ich kann Ihnen hierzu gerne gute Weiterbildungen und
Materialien zur Sensibilisierung empfehlen.«»Es heißt ja immer so schön, unsere Einrichtung ist ein Spiegel der Gesellschaft. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es auch bei uns strukturellen Sexismus gibt. Anstatt ihn zu leugnen und zu einem persönlichen Problem zu erklären, sollten wir diesen offen thematisieren – damit Frauen überall die gleichen Rechte bekommen, auch auf Podien.«
(Männliches AG-Mitglied, nachdem seine Kollegin geantwortet hat.)»Ich finde allerdings, dass die Perspektiven von Frauen zu diesem Thema wichtig sind und gehört werden sollten. Und wenn mir ein Thema wichtig ist, dann setze ich mich auch gern dafür persönlich ein.«
Thema: Vermeintliche Zensur, Meinungsfreiheit, Verschwörungsdenken, Rechte als vermeintliche Opfer
Taktik: Parolen-Hopping
So können Sie reagieren:
auf einem Thema bestehen, Regeln festlegen
»Da haben Sie ja ganz schön viele Themen angesprochen, von denen Sie sich denken können, dass ich sie anders sehe. Ich bin aber gerne bereit
mich mit Ihnen auszutauschen. Ich würde Sie jedoch bitten, dass wir bei einem Thema bleiben, weil wir nicht über alles gleichzeitig diskutieren
können.«
Sie suchen Beratung, Moderation, Information zu Rechtsextremismus, Diskriminierung und Förderung von Demokratiekultur?
Projekt »Demokratie gewinnt! In Brandenburg!« der Landesdiakonie
T +49 30 820 97-254
demokratiegewinnt@dwbo.de
Beauftragter der Landeskirche für den Umgang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit:
Heinz-Joachim Lohmann
lohmann@eaberlin.de
demos – Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung
www.gemeinwesenberatung-demos.de
Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus in Brandenburg
aktionsbuendnis-brandenburg.de
Kulturbüro Sachsen e.V.
kulturbuero-sachsen.de
Weitere Praxisbeispiele sowie Quellen finden Sie hier: www.dwbo.de/zusammenstreiten2024
Quellangaben
Aufstehen gegen Rassismus (2019): Argumentieren gegen rechte Parolen. Berlin, 2. Komplett überarbeitete Ausgabe
Bundeszentrale für politische Bildung (2019): Reden wir?! Magazin #15, Bonn
Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (2016): Selbstverständlich. Handreichung für schwierige Gespräche zum Thema Flucht und Asyl. Projekt „Demokratie gewinnt! In Brandenburg!“. Berlin
Diakonie Deutschland (2022): Umgang mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Eine Handreichung für die Diakonie. 2. erweiterte Auflage
Diakonie Hessen: Nächstenliebe verlangt Klarheit – Auseinandersetzung wagen und im Gespräch bleiben. Frankfurt am Main
Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (2008): Hinsehen – Wahrnehmen – Ansprechen. Handreichung für Gemeinden zum Umgang mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Berlin, 2. unveränderte Auflage
Gegen Vergessen – Für Demokratie (2015) Widersprechen! Aber wie? Berlin
Gesicht zeigen! (2023): Gesicht zeigen – aber wie? Die schlauen Hefte! Berlin, 9. Auflage
Hufer, Klaus Peter (2000): Argumentationstraining gegen Stammtischparolen. Wochenschau Verlag, Frankfurt am Main
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin: Umgang mit rechtsextremen oder rassistischen Aussagen und Gesprächsmustern
Projektstelle gegen Rechtsextremismus im Ev. Bildungs- und Tagungszentrum, Praxisinstitut für systemische beratung süd (2022): Rechtes Denken, Rechtes Reden. Bad Alexandersbad
Reschke, Anja (2018): Haltung zeigen! Rowohlt, Reinbeck.
Rosa Luxemburg Stiftung (2019): Haltung zeigen! Gesprächsstrategien gegen rechts. 4. Auflage
Ihr Kontakt zu uns
Dr. Stefan Heißenberger
Projektleitung "Demokratie gewinnt! In Brandenburg!"
030 820 97 254
Sebastian Peters
Pressesprecher und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit
030 820 97 110
0173 60 333 22