Silvester: „Einladung zum Scheiße bauen“
Diakonie fordert Intensivierung der Jugendsozialarbeit
Aus Sicht der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz lenkt die Migrationsdebatte von der eigentlichen Problematik ab. Statt 40 Prozent der Berliner Bevölkerung zu stigmatisieren, fordert sie eine Versachlichung der Debatte und strukturelle Verbesserungen für Jugendliche. Die Einrichtungen der Diakonie sind größer Anbieter der Jugendhilfe im Land Berlin.
Für Benjamin Zwick, Geschäftsführer des diakonischen Freestyle e. V. knüpfen die Silvesterausschreitungen an die Erfahrungen vergangener Jahre an: „Jugendliche mit schwierigen Lebensbedingungen sind an Silvester praktisch eingeladen, Scheiße zu bauen: wir erleben, dass einige die quasi frei zugänglichen Knallkörper nutzen, um anderen eins auszuwischen. Und dann brennt der Balkon - oder es passiert Schlimmeres. Diese Folgen können die Jugendlichen in der Regel gar nicht abschätzen.“
Woher die Jugendlichen oder ihre Vorfahren stammen, ist für den Sozialarbeiter in dem Zusammenhang unerheblich.
Für Diakonie-Direktorin Dr. Ursula Schoen birgt diese Fragestellung sozialen Sprengstoff: „Gesellschaft und Politik stehlen sich aus der Verantwortung, wenn sie die Silvesterausschreitungen auf ein Migrationsproblem reduzieren. Es ist völlig unzulässig und unklug, den Wahlkampf mit tendenziösen Parolen und Forderungen auf dem Rücken eines Großteils der Berliner Bevölkerung auszutragen. Eine Versachlichung der Debatte ist dringend notwendig. Unsere breite Erfahrung in der Jugendhilfe zeigt: Es geht nicht um Ali oder Anton. Es geht um die Integration all jener, die sozial abgehängt sind, sich hilflos fühlen, die sich über Gewalt profilieren. Wir müssen uns fragen: Geben wir jungen Menschen die Chance und das Vertrauen, das er oder sie verdient hat? Da sehe ich noch einen erheblichen gesamtgesellschaftlichen Nachholbedarf."
Daneben müssen die Jugendhilfe-Angebote intelligent ausgebaut werden. In der aktuellen Berliner Sozial-, Jugend- und Finanzverwaltung trifft der diakonische Landesverband auf viel Verständnis für die Problematik.
Und doch gibt es noch viel zu tun, weiß Diakonie-Vorständin Andrea U. Asch: „Silvester hat wieder einen bekannten politischen Reflex erzeugt: Unsere Jugend soll die Härte des Gesetzes spüren, während der Jugendtreff bestenfalls einen neuen Anstrich bekommt. Unsere Mitgliedseinrichtungen hören große und sinnvolle Worte, die Hoffnung auf eine strukturelle Veränderung bleibt aber klein. Wir müssen jährlich um eine ausreichende Finanzierung für die Jugendhilfeeinrichtungen feilschen, Geld für Ausbildungsplätze und Praxisanleitung, eine verlässliche Planungssicherheit auch mit Blick auf die betreuenden Fachkräfte gibt es nicht. Ursachenbekämpfung sieht anders aus.“
In der Gewaltprävention setzt Sozialarbeiter Zwick auf frühzeitige persönliche Betreuung statt `Alibihilfen´: „Jugendliche, die in ihren Elternhäusern vernachlässigt wurden, brauchen und erwarten eine verlässliche Beziehungsarbeit. Die ist teuer und wird durch die Jugendämter häufig erst genehmigt, wenn die Abwärtsspirale kaum noch aufzuhalten ist. Hier braucht es auf beiden Seiten eine bessere Personalausstattung, damit die schwierigen Lebensbedingungen frühzeitig erkannt werden können. Mit Rot-Rot-Grün sind wir in Berlin nicht die schlechtesten in der Jugendhilfe, aber diese aufsuchende Arbeit in den Sozialräumen braucht eine stabilere Finanzierung. So würden sich auch mehr freie Träger für dieses Angebot mit innovativen Konzepten entscheiden. Für die junge Generation, für die Zukunft unseres Landes.“
Die Einrichtungen der Diakonie sind mit 2.300 stationären und teilstationären Plätzen zur Hilfe zur Erziehung und 31 Einrichtungen der Jugend(sozial-)Arbeit und Jugendberufshilfe größter Anbieter der Jugendhilfe im Land Berlin. Gleiches gilt für die diakonischen Einrichtungen zur Migrationshilfe.
Hintergrund: Freestyle e.V.
Freestyle e.V. ist ein gemeinnütziger Verein in Berlin, der sich im Verbund der Diakonie zum Ziel gesetzt hat, verschiedene Projekte im Bereich der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe durchzuführen. Seit 2011 ist der Verein mit 145 Mitarbeitenden als freier Träger anerkannt und arbeitet eng mit Behörden und anderen Kooperationspartnern zusammen.
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Berlin, 11. Januar 2023
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