13.07.2022 | „Mitte der Gesellschaft“ in der Schuldenfalle
Ergänzung der DIW-Studie aus Berlin-Brandenburger Perspektive
Laut einer heute veröffentlichten Studie von DIWecon im Auftrag der Diakonie Deutschland leiden einkommensschwache Haushalte überproportional stark unter der rasanten Teuerung. Die Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz bestätigt diese Entwicklung, sieht in der Praxis sogar die “gesellschaftliche Mitte” zunehmend von Überschuldung bedroht und warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft.
Diakonie-Vorständin Andrea U. Asch: „In einer unserer Brandenburger Sozialberatungsstellen treffen wir jetzt beispielsweise auf den Architekten, der bis vor zwei Jahren noch gut von seiner Kleinselbständigkeit leben konnte – völlig aufgelöst, weil er nicht weiß, wie er von seiner Verschuldung runterkommen soll. Der jetzt Energierechnungen in vierstelliger Höhe entgegen sieht. Für den selbst eine Privatinsolvenz keinen Sinn mehr ergibt. Wenn diese Situation kein Einzelfall ist, sondern für einen klaren Trend steht, dann läuft etwas massiv falsch in unserem Sozialstaat.“
Die diakonischen Verbraucher- und Insolvenzberatungsstellen in Berlin und Brandenburg sehen einer rasanten Entwicklung entgegen, die verlässliche Haushaltsplanungen und Schuldenbereinigungen fast unmöglich macht: die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind noch stark spürbar, gleichzeitig werden Stromabschläge teurer und teurer, haben sich bereits verdoppelt. Gläubiger nehmen keine Ratenzahlungen mehr auf unpfändbare Einkommen entgegen. Und die Schuldner:innen haben keinen finanziellen Spielraum mehr, häufig leben sie unter dem Existenzminimum. Die emotionale Belastung bei Schulder:innen und Beratenden ist gefährlich hoch.
Besonders brisant ist die Situation für die wachsende Gruppe der Menschen, die neu mit dem Thema Armut konfrontiert werden: Sie verfügen über pfändbare Vermögenswerte wie ein Auto oder Wohnung, sind zunehmend von Überschuldung bedroht. Sie haben „noch etwas zu verlieren“ und können die laufenden Kosten für ihren bisherigen Lebensstandard nicht mehr finanzieren. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen ist in Berlin und Brandenburg schon ohne die rasant steigenden Lebenshaltungskosten von 2020 zu 2021 um 105 % (Berlin) und 54% (Brandenburg) gestiegen [Amt für Statistik Berlin-Brandenburg]. Der Anteil ehemals selbständiger Personen wächst dabei merklich. Die durchschnittliche Verschuldung in Brandenburg liegt jetzt schon mit 40.900 EUR um 30% höher als im Vorjahr.
Diakonie-Vorständin Andrea U. Asch: „Die Regierende Bürgermeisterin ruft zum Sparen auf. Dabei vergisst sie diejenigen, die keine Ressourcen mehr haben. Der Berliner Notfallfonds ist ein guter Anfang, die Zuschüsse reichen aber nach unserer Erfahrung nicht einmal für die Energiekosten-Abschläge. Die Bundes- und Landespolitik ist gefordert Menschen mit geringem Einkommen wie Familien mit Kindern, Alleinerziehenden, Rentner:innen am Existenzminimum, eine echte Perspektive anbieten. Der Regelsatz für HartzIV-Empfänger:innen muss bedarfsgerecht angehoben werden – dauerhaft. Wir sitzen auf einem Pulverfass. Politik muss jetzt tätig werden um eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.“
In der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz sind 48 Schuldner- und allgemeine unabhängige Sozialberatungsstellen verbunden.
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Sebastian Peters
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