Politische Sommerreise der Bundesarbeitsgemeinschaft evangelische Jugendsozialarbeit
Jugendsozialarbeit im Spannungsfeld zwischen wachsenden Anforderungen und immer knapper werdenden Ressourcen
10.07.2025
Warum sind Angebote der Jugendsozialarbeit für benachteiligte Jugendliche so wichtig? Wie gelingt nachhaltige Zusammenarbeit in und mit Schulen, aber auch mit Justiz, Betrieben, Jugendberufsagenturen und Mittelgebern? Welche Voraussetzungen sind dafür notwendig? Was bedeutet es, wenn Förderlogiken sich widersprechen oder die Finanzierung nicht ausreicht, um Kontinuität zu sichern? All diese Fragen stehen aktuell im Zentrum eines einwöchigen Austausches zwischen diakonischen Trägern, Verbänden, politischen Akteuren, Fachkräften, jungen Menschen und der Bundesarbeitsgemeinschaft evangelische Jugendsozialarbeit (BAG EJSA).
Im Rahmen einer politischen Sommerreise durch den Norden Deutschlands besuchte die BAG EJSA in dieser Woche auch zwei diakonische Träger in Berlin und Brandenburg: das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF gAG) in Berlin sowie die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal in Bernau. Dabei wurde klar: Kürzungen im Bildungsbereich und in der Jugendsozialarbeit haben unmittelbare Folgen für junge Menschen.
„Berlin kann nicht mehr ohne Schulsozialarbeit“
Die Leitung des EJF-Kinder- und Jugendhilfeverbund Süd, Nicola Kalff-Kunze, brachte es beim Trägerbesuch am Montag (07.07.2025) auf den Punkt. An jeder Berliner Schule soll es mindestens 1 Stelle Schulsozialarbeit gemäß § 13a SGB VIII – also ein Angebot der Jugendhilfe am Standort Schule – geben. Es gibt sogar ein eigenes Landesprogramm “Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen”. Aber das Geld fehle trotzdem. Volker Stock, Geschäftsführer des Fachverbandes Evangelische Jugendhilfen e.V. im DWBO fügte hinzu: „An Schulsozialarbeit wird auf ungute Weise deutlich, wie schwierig die Finanzierungssituation ist.“ Im Falle von Berlin zeige sich dies u.a. an der Tatsache, dass man sich in den Verträgen des Landesprogramms mit den freien Trägern für 2025 eine außerordentliche Kündigung und damit Einstellung der Leistungen vorbehält, für den Fall, dass das Land weitere Kürzungen im Bereich der Jugendsozialarbeit umsetzt.
Stagnierende Zuschüsse bei steigenden Kosten und immer mehr Anforderungen
In Brandenburg ist man von 1 Stelle Schulsozialarbeit an jeder Schule weit entfernt, auch wenn der Anspruch des weiteren Ausbaus im Koalitionsvertrag steht und auch das neuen Brandenburger Kinder- und Jugendgesetz (BbgKJG) mehr Schulsozialarbeit in Aussicht stellt. Allein in Bernau gibt es mehr Schulen als Sozialarbeiter:innenstellen, wie beim Trägerbesuch am Dienstag (08.07.2025) deutlich wurde.
Seit vielen Jahren stagnieren in Brandenburg die Gelder, mit denen das Land die Sozialarbeiter:innenstellen aus seinem Personlakostenförderprogramm bezuschusst. Pro Vollzeit-Äquivalent sind es knapp 10.000€. Eine Vollzeitstelle koste den Arbeitgeber aber zwischen 70.000€ und 80.000€, mitunter auch mehr, wie Jugendhilfe-Bereichsleiter Ralf Klinghammer von der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal berichtete. Die Lücke zu schließen bleibt damit am Ende Aufgabe der Landkreise, Städte und Gemeinden zusammen mit den freien Trägern – und das bei ständig steigenden Kosten für Personal und Mieten.
Aber auch bei Bundesprogrammen wie dem Jugendmigrationsdienst stellen wachsende Refinanzierungslücken freie Träger wie die Hoffnungstaler Stiftung vor große Herausforderungen. Dies wird noch verstärkt durch oft teils sehr kurzfristig erfolgende Finanzierungszusagen, was Personsentscheidungen stark beeinflusse und sowohl Fachkräfte als auch Jugendliche zunehmend verunsichere, ob Angebote künftig überhaupt noch stattfinden können.
Weitere wesentliche Herausforderungen neben der Finanzierungssituation liegen in einer zunehmenden Diskrepanz zwischen immer höheren Qualitätsanforderungen seitens Gesetzen (BbgKJG), Land, Bund, Wissenschaft und Forschung bei immer knapper zur Verfügung stehenden finanziellen und strukturellen Ressourcen (fehlende Gelder, Therapieplätze, Fachkräfte). Auch zunehmende psychische Belastungen/Störungen nicht nur bei jungen Menschen, auch bei Lehrkräften und Eltern stellen die Fachkräfte vor immer neue Herausforderungen. Schulsoziaarbeiter:innen, Fachkräfte im Jugendmigrationsdienst oder die Respect Coaches werden zu Berater:innen in Aufgabenfeldern, die sie überfordern, für die sie nicht ausgebildet sind und die auch nicht in ihre Zuständigkeit fallen.
Kreative Lösungen in Eigenregie – kein Normalfall
Lösungen im Umgang mit den Herausforderungen werden vor allem in Trägerlandschaft und Netzwerken vor Ort auf kreative Weise selbst entwickelt. Auch das wurde bei den beiden Trägerbesuchen deutlich. Unter den schwierigen finanziellen Voraussetzungen sind es oft einzelne Personen, die zum Gelingen bei der Umsetzung einer fachlich qualitativen Jugendsozialarbeit maßgeblich beitragen. Engagierte Schulleitungen, Stadt/Gemeinde und Landkreise in Zusammenarbeit mit freien Trägern – wie im Falle der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, Stadt Bernau/Landkreis Barnim und der Schule am Kirschgarten – können gemeinsam bestmöglich die vorhandenen Mittel und Möglichkeiten bündeln. In immer mehr Kommunen sieht das jedoch anders aus.
Realitätscheck und Apell an Politik
Die Trägerbesuche haben gezeigt, was möglich ist, wenn Strukturen tragen und was auf der Strecke bleibt, wenn es an politischer Rückendeckung fehlt. Ein Realitätscheck mit einem Apell auch an die Bundespolitik, den die BAG EJSA Geschäftsführenden Christine Lohn und Hans Steimle gern aus Berlin und Brandenburg mitnehmen auf ihre weitere Reise nach Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Schleswig-Holstein sowie in ihre künftige Lobbyarbeit.
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