10.11.2022 | Ergebnisse des Familienforums mit Vätern in Elternzeit
Veranstaltungsort: Väterzentrum, Marienburgerstraße 28, 10405 Berlin (Prenzlauer Berg). Veranstaltende: Berliner Beirat für Familienfragen in Kooperation mit dem Väterzentrum e.V. Berlin
An der Gesprächsrunde nahmen sechs Väter teil, die entweder gerade in Elternzeit sind, diese vor kurzem beantragt oder beendet hatten. Alle Väter hatten eine akademische Ausbildung und überwiegend Arbeitgeber, die der Elternzeit für Väter offen gegenüber sind. Einer der Väter war selbstständig. Zwei Väter sind im Ausland aufgewachsen oder haben die Geburt eines Kindes im Ausland erlebt, so dass sie Vergleiche mit der Situation von frischgebackenen Eltern in anderen Ländern ziehen konnten.
Die drei grundsätzlichen Fragerichtungen waren: Was läuft gut, was läuft schlecht und gibt es Wünsche oder Ideen zur Stärkung oder Lösung.
Die Themenschwerpunkte in der Diskussion waren:
- die komplizierte Beantragung des Elterngeldes,
- die Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
- die Organisation der Kinderbetreuung sowie
- die Beratungsangebote sowie die Vaterrolle in der Gesellschaft.
Insgesamt wurden viele Themen angesprochen, die für alle Familien in Berlin relevant sind.
Elternzeit und Elterngeld
Alle Väter zeigten sich dankbar, dass es Elterngeld und Elternzeit überhaupt gibt. Dies wird als eine große soziale Leistung angesehen. Ein US-amerikanische Vater merkte an, dass er ohne diese Leistung des Staates wahrscheinlich kein Kind hätte. Ein anderer Vater, dessen erstes Kind in der Schweiz geboren wurde, berichtete, dass es dort für Väter nur das Recht auf einen freien Tag nach der Geburt gibt.
Die Väter sind sich einig, dass der Elterngeldantrag viel zu kompliziert ist: „Man muss sich das Elterngeld (mit dem Ausfüllen des aufwändigen Antrags) schwer verdienen.“ Ein Vater merkte an: „Ich bin Jurist und arbeite im öffentlichen Dienst, aber ich hatte größte Schwierigkeiten die Formulare auszufüllen! Ich bin mir nicht sicher, ob wir das beste Modell für unsere Familie ausgewählt haben.“
Oftmals bedarf es einer speziellen Beratung, um das Elterngeld zu beantragen. Allerdings sei das Verfahren so kompliziert und aufwändig, dass häufig selbst Beratende „da nicht durchsteigen“, so ein O-Ton. Während der Laufzeit der Auszahlung müssen Zeitnachweise erstellt und die verschiedenen Leistungen bei unterschiedlichen Kassen und Stellen beantragt werden, was manche Familien „in die Verzweiflung treibt.“ Der Wunsch der Väter, die hier vermutlich für viele Eltern sprechen, ist es, die Antragswege und Formulare zu vereinfachen. Die Väter berichteten, dass mit der Geburt des Kindes ein hoher bürokratischer Aufwand auf die Eltern zukommt. Manche staatlichen Leistungen sind für bestimmte Zielgruppen schwer zugänglich. Daher erhalten wahrscheinlich nicht alle Familien die Unterstützungen, die ihnen zustehen, da ihnen der Aufwand zu groß erscheint oder sie gar nicht von diesen Angeboten wissen. Hinzu kommt, dass für diese Leistungen unterschiedliche Ämter zuständig sind. Die Väter wünschen sich „alle Leistungen aus einem Guss“, das heißt, nur eine Anlauf- oder Verwaltungsstelle.
Den zeitlichen Rahmen der Elternzeit mit Elterngeld empfinden die Väter als zu unflexibel. Es gab die Anregung, eine Wahlmöglichkeit nach finnischem Vorbild einzuführen. In Finnland können Eltern drei Jahre Elternzeit nutzen, wobei jedem Elternteil ein Drittel zusteht, ein weiteres Drittel können die Eltern unter sich frei aufteilen. Die deutsche Regelung macht es Eltern in Präsenzberufen, wie Gastronomie, Pflege oder Handwerk schwer, auch nur Teilzeit in Elternzeit zu gehen. Bei Freiberufler*innen und Selbständigen ist Elternzeit faktisch ausgeschlossen, da es keinen Arbeitsersatz gibt. Zudem berichten die Väter, dass die „aktuelle Logik der Elternzeit nicht mit den Kitaplätzen aufgeht“. Die Phase der Kitaeingewöhnung sollte während der Elternzeit stattfinden können.
Der Wunsch der Väter war eindeutig: Alle Leistungen für Familien aus einer Hand sowie Elternzeit und Elterngeld mit einfacherer Beantragung und einer zeitlich flexibleren Gestaltung, die näher an der Lebenswirklichkeit angepasst werden kann.
Die Beantragung des Elterngelds nimmt zu viel Vorlauf und Zeit in Anspruch, bis das Geld tatsächlich auf dem Konto der Eltern landet. Es gab den Vorschlag, den Mindestbetrag zeitnah zur Geburt auszuzahlen, während das Antragsverfahren läuft, damit Miete und andere Ausgaben zumindest teilweise weiter abgedeckt werden und die Eltern nicht in Zahlungsschwierigkeiten kommen.
Die Väter wiesen darauf hin, dass es „Fehlinformationen“ zum Elterngeld und zur Elternzeit gibt. Viele Familien gingen davon aus, dass die Elternzeit für Väter nur zwei Monate beträgt. Hierzu sollte das Informationsangebot verbessert werden.
Die anwesenden Väter empfehlen allen Vätern, sich mehr Zeit für ihre Kinder zu nehmen. Es sei auch eine gute Auszeitstrategie, um darüber nachzudenken, ob sie als Individuum eine Neuausrichtung ihres Lebens oder Berufes vornehmen möchten. Die Akzeptanz für väterliche Elternzeit erkannten die anwesenden Väter an der positiven Resonanz aus ihrem eigenen privilegierten Umfeld.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Die Anwesenden berichteten, dass ihrer Erfahrung nach zwei Monate Elternzeit bei Vätern bei den Arbeitgebenden mittlerweile „voll akzeptiert“ sind. Sie berichteten aber auch, dass Vätern, die mehr Elternzeit in Anspruch nehmen, nach der Elternzeit weniger bzw. in spezifischen Branchen kaum Führungspositionen zugetraut werden.
Den meisten anwesenden Vätern helfen die flexiblen Angebote ihrer Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen. Die Möglichkeit, einige Tage in der Woche im Homeoffice zu arbeiten, wird als unterstützend empfunden.
Der Aufwand, den Eltern in Berlin betreiben müssen, um einen Kitaplatz zu bekommen, sei enorm. Alle anwesenden Väter haben sich jeweils bei rund 20 Kitas beworben. Ein Vater berichtete, dass sie „40 Kitas abgeklappert haben“. Sie empfinden dieses Verfahren als „volkswirtschaftlich unsinnig. Alle sind in Aufruhr. Das ist zeitaufwändig und macht so vielen Leuten Stress. Irgendwann ruckelt es sich allerdings zurecht.“ Letztendlich bekamen alle Familien die Kitaplätze über persönliche Beziehungen zu anderen Eltern.
Der Berliner Kitanavigator wird als gute Idee angesehen. Er sollte aber regelmäßig aktualisiert werden, so dass freie Plätze auch sichtbar werden. Die Kitas müssten verpflichtet werden, ihre freien Plätze in den Kitanavigator einzutragen. Ein Vorschlag war, in einer Bezirksregion einen Pilotbereich zu definieren: für eine bessere Pflege des Navigators und damit zu einem gerechteren und besseren Zugangssystem.
Die Väter wünschen sich Wahlfreiheit bei den Kitas. Dies sei vor allem wichtig, wenn die Kinder später auf eine spezielle Schule gehen sollen, wo es oft Voraussetzung ist, dass zuvor eine entsprechend spezialisierte Kita besucht wurde (z.B. bei Schulen mit speziellem Sprachenangebot. Ansonsten sollte sich nach Ansicht der Anwesenden die Kita ähnlich wie bei Grundschulen in Wohnnähe befinden.
Eine der größten Schwierigkeiten über die Väter berichteten, ist die Organisation des Arbeitsalltages mit den Kindern. Hier geben die Kitaöffnungszeiten und Kinderbetreuungsangebote den Zeitplan und Tagesablauf der Familien vor. Wer sich privat keine individuelle Betreuung leisten oder nicht auf Großeltern für einen spontanen oder flexiblen Einsatz zurückgreifen kann, „falls es auf Arbeit brennt“, ist vor eine nur schwer lösbare Aufgabe gestellt. Besonders gilt dies, wenn beide Eltern in Vollzeit berufstätig sind. Die Situation wird noch schwieriger, wenn ein zweites Kindim Vorschulalter da ist.
Das existierende Angebot ergänzender Kinderbetreuung sei zu bürokratisch, denn es verlangt von den berufstätigen Eltern eine längere Vorlaufzeit. Ein Vater berichtet von dem Angebot einer Tagesbetreuung durch den Arbeitgeber, wo mindestens zwei Unterschriften von Vorgesetzten aus dem Betrieb und ein Antrag bei einem der sozialen Anbieter*innen notwendig ist. Der Wunsch der Väter ist es, die ergänzende Kinderbetreuung so praxisnah und flexibel zu organisieren, damit sie unkompliziert an den Arbeitsalltag angepasst werden kann.
Informations- und Beratungsangebote
Die anwesenden Väter holen sich Informationen beim Väterzentrum oder in den Familienzentren und deren angegliederte Beratungsstellen. Sie weisen jedoch darauf hin, dass vielen Eltern nach der Geburt nicht automatisch die Angebote in ihrem Wohnumfeld bekannt sind. Es gab den Vorschlag, dass die Familien alle relevanten Informationen zu Familienangeboten sowie über ihre Rechte und Möglichkeiten gleich mit der Geburt des Kindes erhalten sollten.
Nur ein Vater berichtete, dass das Gesundheitsamt einen Erstbesuch zur Geburt des Kindes durchgeführt hat, wodurch die Familie sehr viele hilfreiche Informationen erhielten. Die Beratung wurde sogar mehrsprachig angeboten. Nur die Hälfte der anwesenden Väter kannte das Angebot ANE-Elternbriefe.
Es wurde berichtet, dass nur 17 % der Väter das durchschnittlich Angebote in Familienzentren wahrnehmen. Deshalb braucht es mehr „Labore für gute Väterlichkeit“ in der Stadt.
Vaterrolle in der Gesellschaft
Es wurde über das Rollenbild des Vaters diskutiert. Die Vaterrolle sei in den meisten Köpfen immer noch sehr altmodisch angelegt. Väter werden selbst in progressiveren Familien meist auf die „Abenteuerrolle“ im Leben des Kindes beschränkt. Sie berichten von Situationen im Alltag: „Wenn das Kind in der Öffentlichkeit schreit, dann habe ich das Gefühl, dass die Mütter denken, ich sei als Vater überfordert.“ Den Vätern geht es aber darum, ein ausbalanciertes Verhältnis von „Abenteuer“ und emotionaler Bindung aufzubauen, damit „sich die Kinder auch mit emotionalen Themen an ihre Väter wenden“. Das erfordert mehr Zeit und damit mehr Präsenz mit den Kindern. Es tauchte die Frage auf, wer eigentlich die „Role Models“ für sie als moderne Väter sein könnten, „da die eigene Vätergeneration eher weniger in Betracht kommt“.
Es gibt viele Unsicherheiten in Erziehungs- bzw. Begleitungsfragen. Die anwesenden Väter erklärten, dass sie sich selbst meist erst neu (er-)finden mussten. Für Alltagsfragen, wie z. B. der Umgang mit Ablehnungssituationen durch das Kind im Rahmen des Individuationsprozesses finden sie keine Vorbilder. Die Empfehlung eines Vaters war es, sich die Entwicklungsschritte des Kindes anzulesen bzw. via Podcast Informationen anzueignen. Hervorgehoben wurden hier die Elternbriefe, die der Arbeitskreis Neue Erziehung (www.ane.de) herausgibt und die passgenau zur Entwicklungsstufe des Kindes zugesendet werden. Einem Vater halfen die Elternbriefe sehr, das Verhalten des Kindes gut einzuordnen.
Nach der Frage der Alleinstellungsmerkmale als moderner Vater, beschrieb ein Vater den Unterschied zur Mutter durch das Stillen des Kindes. Ein anderer Vater äußerte: „Ich komme mir wie ein Superheld vor, als einziger Mann mit Buggy unterwegs zu sein. Mein Umfeld reagiert total positiv.“ Auf die Frage, ob es aus Vätersicht spezifische Hindernisse im Alltag für das Vatersein gäbe, antworteten sie, dass es „Wickeltische auf Männertoiletten nicht gibt!“
Auf die Frage, welcher Ort ihnen geholfen hat für mehr Rollensicherheit zu sorgen, kam die Antwort, dass z. B. „das Väterzentrum ein sicherer Anker für die Begleitung in Krisen und Umbruchphasen beim Kind ist. Hier werden über die Beratungen und den Austausch Sicherheit und Vergewisserung vermittelt, da Vater sein, wie ein neuer Job ist, nur leider ohne Einarbeitung“.
Zusammenfassende Vorschläge an Politik und Gesellschaft zur Verbesserung der Lebenssituation von Vätern in Elternzeit
Zum Zeitpunkt der Geburt sollten Eltern automatisch über Leistungen, Angebote, Beratungsstellen und Hilfen für Familien informiert werden.
Leistungen für Familien sollten „aus einer Hand“ sein, so dass Familien nur eine Anlaufstelle benötigen.
Die Elterngeldbeantragung muss vereinfacht werden und die Auszahlung zeitnah geschehen. Die Elternzeit und der Elterngeldzeitraum sollten erweitert sowie flexibilisiert und somit lebensnaher gestaltet werden (wie bspw. beim finnischen Modell).
Leistungen wie das Kindergeld sollten automatisiert werden.
Die Kitaplatzsuche muss vereinfacht werden. Es sollte möglich sein, dass sich Eltern über den Kitanavigator über aktuell freie Kitaplätze informieren können und nicht etwa 20 Kitaanmeldungen abgeben müssen.
Angebote der Kinderbetreuung müssen ausgebaut und flexibilisiert werden. Das betrifft auch wohnortnahe Angebote für ergänzende Kinderbetreuung.
Orte wie das Väterzentrum, Papa Cafés usw. sowie Informationsangebote, wie die ANEElternbriefe, sollten erhalten und besser bekannt gemacht werden. Beratungsangebote in solchen Einrichtungen helfen den Familien. Die Angebote sollten wohnortnah, d. h. fußläufig erreichbar sein.
Es werden mehr Hebammen benötigt. Für die Familien war es überwiegend sehr schwer, eine Hebamme zu finden.
In Berlin müssen mehr Wohnungen, insbesondere bezahlbarer Wohnraum für Familien geschaffen werden. Die Wohnungssuche ist aktuell zu schwierig.
Die Zeitumstellung auf Winter- bzw. Sommerzeit ist mit kleinen Kindern sehr schwer im Alltag zu organisieren. Eine Abschaffung der Zeitumstellung wurde daher von den anwesenden Vätern befürwortet.