Die Kältehilfe wackelt!
Berliner Immobilienmarkt ist eine reale Gefahr für das Nothilfesystem
Zum Start der Berliner Kältehilfe stellen AWO, Caritas, Diakonie, DRK, Paritätischer Wohlfahrtsverband und Jüdische Gemeinde fest: Ohne langfristige Lösungen wird dieses Kältehilfesystem dem Berliner Immobilienmarkt zum Opfer fallen. Die Berliner Wohnungslosen brauchen jetzt eine echte Ganzjahresversorgung.
Mit der Berliner Kältehilfe schützen Kirchengemeinden, soziale Träger und Hilfsorganisationen wohnungslose Menschen von Oktober bis März vor dem Erfrieren. Im kommenden Winter stehen ca. 1.000 (im Oktober: 685) Notübernachtungsplätze zur Verfügung, davon knapp 700 (im Oktober: 297) „reine“ Kältehilfeplätze. Doch in diesem Jahr fehlen nach aktuellen seriösen Schätzungen mindestens 400 Plätze.
Dr. Ursula Schoen, Diakonie-Direktorin und LIGA-Federführung: „Auf dem letzten Kältehilfegipfel hat die Senatsverwaltung deutlich gemacht: Es werden Immobilien wegfallen, wir brauchen Ersatz. Ein halbes Jahr später ist keine Lösung in Sicht. Wir erleben in nahezu allen Bereichen von Jugend- bis Eingliederungshilfe, dass der soziale Immobilienmarkt an die Grenzen stößt. Und nun funktioniert auch die klassische Vorstellung von Winternothilfe praktisch nicht mehr.“
Die wenigen leerstehenden Gebäude, die der Kältehilfe-Koordinierungsstelle 2023 angeboten wurden, stehen überwiegend kurz vor dem Abriss und sind teilweise in absolut unbrauchbaren Zustand, zum Beispiel durch jahrelange Trennung von den Versorgungsnetzen. Investitionen werden nicht für eine kurzzeitige Zwischennutzung als Kältehilfeeinrichtung getätigt. Was einigermaßen nutzbar ist, wird schon für die unterschiedlichsten Bedarfe eingesetzt. Und grundsätzlich ist die Kältehilfe für das Mietmanagement uninteressant: Das Mietverhältnis wird nur für wenige Monate im Jahr geschlossen und die Nachbarschaft muss bei größeren Einrichtungen für das Thema Wohnungslosigkeit sensibilisiert werden.
Sabrina Niemietz von der Kältehilfe-Koordinierungsstelle sieht ein weiteres zentrales Problem: „Uns wurden ausschließlich Objekte weit außerhalb des Rings angeboten, in den äußersten Stadtteilen. Das allein heißt nicht, dass dort kein gutes Angebot entstehen kann! Für viele obdachlose Menschen sind weite Anfahrten aber schlicht nicht möglich, sie sind – abgesehen vom Fahrgeld – körperlich und oft auf psychisch nicht in der Lage für eine lange Anfahrt und den letzten Kilometer zu Fuß von der Bushaltestelle durch ein dunkles, nicht frequentiertes Gewerbegebiet. Es besteht hart gesagt das Risiko, dass diese Menschen in der Kälte zusammenbrechen, am Straßenrand liegen bleiben und, dass sie bis zum Morgen niemand findet. Kältehilfe soll eigentlich genau diesen Menschen Schutz bieten! Der Entwicklung von immer mehr Notübernachtungen am Stadtrand, sehen wir deswegen mit größter Sorge entgegen. Vor allem, weil es auch innerstädtisch Leerstand gibt, der generell vermieden werden sollte.“
Die optimierte Nutzung von Übergangshäusern könnte das Problem akut abmildern. Sie bieten ein vorübergehendes Wohnen mit sozialpädagogischer Betreuung, sind aber selten vollständig belegt. Auch die Weitervermittlung aus Notunterkünften zur Abwendung von Gefahren (Wohnheime, Hostels oder Pensionen nach dem sog. ASOG) kann verbessert werden. Mittlerweile haben die Berliner Ordnungsbehörden 40.000 Menschen in diesen Unterkünften einquartiert.
Dr. Ursula Schoen: „Auch in den Tagesstätten und Suppenküchen erleben wir einen rasant wachsenden Bedarf. Sie fangen die Stadtarmut auf und bieten tagsüber Kälteschutz. Dafür erhalten sie in der Regel eine viel zu geringe staatliche Unterstützung, werden so gut es geht von Ehrenamt und Spenden getragen. Es ist gut, dass die Senatsverwaltung die nächtliche Kältehilfe mit einer besseren Finanzierung sichern möchte. Aber das Leben auf der Straße ist auch tagsüber und bei jeder Witterung gefährlich. Wir sind zudem sehr besorgt über die erhebliche Mittelkürzung für die Gesundheitsversorgung wohnungsloser Menschen. Das ist verantwortungslos und gefährdet zusätzlich die Versorgungssicherheit ganz erheblich.“
Unter den obdachlosen Menschen steigt die Anzahl derer mit komplexem Unterstützungsbedarf kontinuierlich. Gerade für diese Menschen mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen oder Suchterkrankungen ist es wichtig, nachhaltige Hilfen zu entwickeln: Dazu brauchen wir eine enge Kooperation mit Wohnungsunternehmen, privaten Vermietern und den mittlerweile sechs Housing First-Anbietern in Berlin.
Berlin hat kein Potenzial mehr für temporäre Lösungen! Nur mit einem ganzjährigen Hilfesystem wird es überhaupt möglich sein, Wohnraum zu schaffen und dem staatlichen Schutzauftrag für Wohnungs- und Obdachlose nachzukommen. Die Wohlfahrtsverbände fordern die Verantwortlichen im Land Berlin auf, die Kältehilfe so auszustatten, dass sie ein stabiles Angebot für wohnungslose Menschen im Winter bleibt. Damit stärken sie auch den unersetzlichen Einsatz vieler Ehrenamtlicher und das freiwillige soziale Engagement für Berlin insgesamt.
Die Einrichtungen und Projekte der LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege stellen 100% aller Notunterkünfte zur Abwendung von Gefahrenlagen (4.000) sowie 100% aller Wohnungslosen- und Suchtberatungen in Berlin.
Hintergrund: LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege
In der LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege haben sich in Berlin das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (Federführung 2023/24), der Caritasverband für das Erzbistum Berlin, die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Landesverband Berlin, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin, der DRK Landesverband Berliner Rotes Kreuz sowie die Jüdische Gemeinde zu Berlin zusammengeschlossen. In den sozialen Einrichtungen, Diensten und Projekten der LIGA sind in Berlin rund 107.000 hauptamtliche und etwa 53.000 ehrenamtliche Mitarbeitende tätig. Rund 150.000 Menschen sind zusätzlich persönliche Mitglieder in den Verbänden der LIGA Berlin, die wiederum ca. 1.200 Initiativen und Träger vertreten.
Hintergrund: Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe – ein Projekt der GEBEWO pro gGmbH
Die Koordinierungsstelle Berliner Kältehilfe nimmt eine koordinierende Aufgabe für Überlebenshilfen für obdachlose Menschen in Berlin wahr. Die Hauptaufgabe der Koordinierungsstelle Kältehilfe ist die ganzjährige Planung und Entwicklung von Standorten der Berliner Kältehilfe, um die jeweils benötigten und angestrebten Schlafplatzkapazitäten für obdachlose Menschen zu Beginn der Kältehilfe sicher zu stellen. Dabei arbeitet die Koordinierungsstelle eng mit dem Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Soziales (SenASGIVA), mit den Berliner Bezirksämtern und mit Immobilieneigentümer:innen bzw. deren Verwaltungsgesellschaften zusammen. Ebenso bieten sie Unterstützungs- und Beratungsleistungen für neue oder bereits aktive Kältehilfeanbieter:innen an. Weiterhin sammelt die Koordinierungsstelle Informationen zu allen Einrichtungen und Angeboten der Berliner Kältehilfe und der niedrigschwelligen Wohnungsnotfallhilfe und veröffentlicht sie auf ihrer Webseite, in der Kältehilfe App und als Druckversion im Wegweiser. Zur Erfüllung der Aufgaben wird u. a. auf die Daten und Auswertungen des Kältehilfetelefons zurückgegriffen.
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Kontakt für Rückfragen:
Sebastian Peters, Pressesprecher und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit
Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO)
peters.s@dwbo.de | Tel. 0173 – 60 333 22
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#wichtigeralsdudenkst
Sebastian Peters
Pressesprecher LIGA Berlin/Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
030 820 97 110
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