Leben im Horizont der Endlichkeit - Sterben im Horizont der Ewigkeit?
Schwester Rita Burmeister begleitet u. a. unheilbar erkrankte Menschen in den letzten Lebenstagen oder -wochen. In dem folgenden Interview berichtet die Leiterin des ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienstes im Diakonie Hospiz Wannsee über ihre Tätigkeit.
Sie sind Diakonie-Schwester und Leiterin des ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienstes des Diakonie Hospiz Wannsee. Was ist Ihnen an dieser Aufgabe wichtig?
Mir sind die Menschen besonders wichtig, mit und zu denen ich unterwegs bin. Es sind rund 100 haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende und die schwerkranken Menschen und ihre An- und Zugehörigen, die ich in ihrer Häuslichkeit besuche und begleite. Mit geht es in den Besuchen darum, die Personen in ihrer jeweiligen Situation mit ihren Nöten und Fragen wahrzunehmen, zu erfassen (d.h. hören und verstehen) und Hilfe anzubieten. Die Hilfe sieht sehr unterschiedlich aus und reicht von der Beratung zu diversen Hilfeangeboten bis hin zur Vermittlung einer ehrenamtlichen Sterbebegleitung. Das Eingehen auf die Person, ihr mit Zuhören Trost und Beistand zu geben, ist für mich ein zentraler Punkt. Meine Kolleginnen und ich erleben in diesen Begegnungen eine sehr große Dankbarkeit und Wertschätzung, die das Herz anrührt.
Sie begleiten unheilbar erkrankte Menschen in den letzten Lebenstagen oder -wochen. Wie helfen Sie den Klienten und ihren Familien, sich mit der Endlichkeit des Lebens auseinander zu setzen? Wie sieht eine Begleitung aus?
Ich besuche die Menschen in ihrer Wohnung oder in Alteneinrichtungen in der Regel zweimal, vier meiner Kolleginnen sind außerdem in der Hospizberatung in zwei angeschlossenen Krankenhäusern tätig. In den Gesprächen versuchen wir - und anschließend die ehrenamtlich Mitarbeitenden, die einmal pro Woche zu Besuch kommen - herauszufinden, was die Personen brauchen und wie weit sie die Endlichkeit realisieren bzw. angenommen haben. Eine Akzeptanz der Erkrankung erleichtert die Situation, sodass wir offen über Wünsche und Träume („vielleicht noch ein letztes Mal… zu meinem Hund ins Tierheim, in ein Café gehen, Schiff fahren…“) reden und bei der Realisierung des Wunsches helfen (u.a. durch das Wünschemobil). Oft wird auch zurückgesehen, werden Fotoalben betrachtet – hier versuchen wir den Aspekt der Dankbarkeit in den Mittelpunkt zu rücken, es wird gelacht, vielleicht auch gefeiert.
Uns leitet die Aussage von Cicely Saunders, Begründerin der Hospizbewegung (* 22. Juni 1918, † 14. Juli 2005): „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“
Manchmal wird auch deutlich, was offen oder unversöhnt ist oder wo Angst herrscht – Angst vor dem Sterben und dem Tod, vor dem was danach kommt. Ich persönlich versuche, dieses offen anzusprechen, mit der erkrankten Person und/oder An- und Zugehörigen Hoffnungswege zu finden und von meiner christlichen Haltung und meiner Hoffnung zu erzählen.
Welche Rolle spielt die Religion Ihrer Klient*innen für die Begleitung?
Bei den meisten unserer ambulant betreuten Klient*innen spielt die Religion – zumindest vordergründig – keine Rolle. Zunächst geht es ums Dasein, ums Redenkönnen und oft auch um die Entlastung der An- und Zugehörigen. Im Laufe der Zeit entsteht zu der ehrenamtlichen Begleitung eine sehr vertrauensvolle Beziehung und so kann die Religion durchaus Thema werden. Wir richten uns nach den Bedürfnissen der zu begleitenden Person – sie ist die Bestimmerin im Prozess. Zusätzlich ist es von der ehrenamtlichen Begleitung und deren Beziehung zu Religion, Kirche und dem persönlichen Glauben abhängig.
Welcher Moment / welche Begegnung in Ihrer Tätigkeit hat Sie besonders beeindruckt?
Jede Begegnung ist einzigartig und hat etwas Besonderes, ob es die Person ist oder ihre Familiengeschichte oder die noch kleinen Kinder, die den Abschied eines Elternteils erleben müssen. Spontan denke ich an zwei Begegnungen, die mich auch nachhaltig noch sehr berühren:
Das Gespräch bei meinem Erstbesuch begann mit der Frage nach dem assistierten Suizid, dem festen Wunsch, nicht leiden zu wollen. Nachdem klar war, dass wir in der Hospiz- und Palliativberatung andere Möglichkeiten sehen, sind wir sehr schnell bei Gott und seiner Fürsorge, der Liebe zur Ehefrau und dem, was Beziehung ausmacht, bei Wertschätzung und ganz tiefen Bedürfnissen gelandet.
Eine weitere für mich sehr berührende Begegnung: ein Mann lag im Sterben, wollte zu seiner vor 40 Jahren verstorbenen Mutter und dem vor kürzerer Zeit verstorbenen Freund und machte sich gleichzeitig große Sorgen um Frau und Kinder. Dazu kam die Frage in großer Not, ob Gott ihn denn annehmen würde. Diese Zweifel – trotz der Verbindung zur Kirche von Jugend an – waren auch beim zweiten Besuch präsent. Vielleicht konnte ich ihm u.a. mit Psalm 23 etwas Trost und den Frieden unseres gnädigen Gottes zusprechen. Am nächsten Tag ist er verstorben.
Tod und Sterben sind unser ganzes Leben hindurch eine nahe Realität, die wir jedoch meistens verdrängen. Was können wir - mitten im Leben - von Sterbenden lernen?
Ich höre von den sterbenden Menschen oft die Sätze „hätte ich doch…“ oder „ich schaue dankbar auf das zurück, was ich erleben durfte“. Mich lädt es ein, das zu tun, was dran sein darf/soll und nichts auf die lange Bank zu schieben, mit Menschen versöhnlich zu leben und für jeden Tag dankbar zu sein.
Zudem wird mir in der Gegenwart des sterbenden Menschen deutlich, dass alles Äußere nicht mehr zählt, das Leben reduziert sich auf Begegnungen mit wenigen vertrauten Personen, auf die Beziehung zu sich selbst und – sofern spirituell gebunden – auf die zu Gott. Alles andere ist nebensächlich. Davon können wir lernen, was letztlich wirklich zählt.
„Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“
Schwester Rita Burmeister
Leiterin ambulanter Hospiz- und Palliativberatungsdienst/ Koordinatorin im Diakonie Hospiz Wannsee
(Zuerst veröffentlicht in den Paulusblättern der Ev. Paulus Kirchengemeinde Berlin-Zehlendorf, Interview: Pfarrerin Dr. Donata Dörfel.)