Engagement im Ruhestand
Menschen 60plus engagieren sich bis ins hohe Alter - aber selbst als Christen nicht unbedingt in Kirche und Diakonie. Nicht selten vermissen sie Professionalität in der Freiwilligenarbeit. Und so mischen auch die Autoren eines eben erschienenen Sammelbandes, herausgegeben vom Senior Consulting Service Diakonie, kritische Anmerkungen unter biographische Notizen.
„Engagement im Ruhestand“ erscheint den Herausgebern im Nachhinein als paradoxes Wortspiel. Beschreiben doch die Autor*innen, die von ihnen zu vier wissenschaftlichen und dreizehn biographischen Artikeln ermuntert wurden, einen vielbesprochenen „Unruhestand“. Zugleich beantworten sie die Frage von Bernt Renzenbrink und Gerhard Wegner, was Ältere antreibe, sich zu engagieren - welche Ziele, Ideale und Werte.
Engagement im Ruhestand
herausgegeben von Bernt Renzenbrink und Gerhard Wegner
unterstützt vom Senior Consulting Service Diakonie
Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, Februar 2022
Paperback, 256 Seiten, 48€, auch als E-Book
WGS 2543 ISBN 978-3-374-07012-1
Steter Trend zum freiwilligen Engagement
Nach Ergebnissen des jüngsten Deutschen Freiwilligensurveys (FWS) von 2019 hat sich der Trend des zunehmenden Engagements unter den Älteren – vor allem bei den sogenannten Hochaltrigen (Personen ab 80 Jahren) – fortgesetzt … Diese tätige Mitverantwortung lässt sich zugleich als ein wichtiger Aspekt des ›erfolgreichen‹ Alterns betrachten, in dem sie zum Erhalt bzw. zur Stärkung u. a. der sozialen Beziehungen, kognitiver, mentaler und sozialer Kompetenzen beiträgt. (Petra-Angela Ahrens)
Natürlich wünschen sich alle, die dritte nach der zweiten und vor der vierten Lebensphase bewusst anders zu gestalten. Und doch machen sie weiter, zuweilen mit einer anschwellenden Fülle freiwilliger Aktivitäten, indem sie einem individuellen, lange eingeübten Muster folgen.
Mal bleiben sie als Angehörige Pflegende – vornehmlich Frauen – oder als Großeltern Erziehende. Mal stellen sie ein buntes Programm zusammen, was sie sich – wie bisher oder jetzt endlich - an Aufgaben oder Reisen, Bildung oder Hobbies leisten wollen und können. Ob nun in Nachbarschaft und Gesellschaft präsent oder im Privaten gebunden und zurückgezogen.
Neue Frauenbewegung der 68er
Wir erleben gerade eine neue Frauenbewegung: die der älteren Frauen. Die 68er Power-Frauen gehen selbstbewusst, kritisch und voll Energie in die neue Lebensphase und setzen sich noch einmal neu mit den alten Themen auseinander: mit dem Verständnis von Arbeit, mit Körper und Kleidung und natürlich mit dem Thema Mütterlichkeit. Viele von ihnen sind längst Großmütter – aber auf die Großmutter-Rolle will sich keine mehr reduzieren lassen. Und dennoch erlebt so manche das »Rabenmuttersyndrom« noch einmal, wenn sie sich weigert, noch einmal Lücken zu füllen, die die Familienpolitik nicht schließt. (Cornelia Coenen-Marx)
Anders als die Industrie hat die Kirche den Schatz, den Wissen und Erfahrung Älterer darstellen, offensichtlich noch nicht entdeckt. Zwar fehlt auf kaum einer Webseite einer kirchlichen Einrichtung die Rubrik »Ehrenamt«. Aber bei genauerem Hinsehen scheint es oft mehr um die unentgeltliche Übernahme von notwendigen oder wünschenswerten Aufgaben zu gehen. (Freimut Hinsch)
Unentdecktes Wissen und Erfahrung Älterer
In der kirchlichen Gemeindearbeit ist der »Dienst« am Nächsten auf ehrenamtlicher Basis nach wie vor stark gefragt. Es fehlt an vielen Ecken an Expertise, die in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft reichlich vorhanden ist. Eine erste Zwischenbilanz fällt allerdings ernüchternd aus. Letztlich geht es in den abendlichen langen Sitzungen fast immer nur um Verwaltungsangelegenheiten mit geringem Unterhaltungswert, aber langen fruchtlosen Debatten im Detail. Entscheidungen werden vertagt und der Ruf der Experten verhallt. Manchmal drängt sich der Verdacht auf, dass der Chef, also unser Herrgott, schwer in Ordnung ist, aber das Fußvolk leider grottig. (Ewald Stephan)
Wir können als Diakonie noch so menschenzugewandt arbeiten, wenn wir dabei die Wirtschaftlichkeit außer Acht lassen, sind wir nicht mehr lange da. Umgekehrt spielt das diakonische Profil und die erfahrbare Menschlichkeit eine große Rolle bei der Akzeptanz und bei der Nachfrage des Angebots und hat durchaus positive Folgen für die Wirtschaftlichkeit. Auf das richtige Gleichgewicht beider Faktoren kommt es eben an! (Christian Sundermann)
Kompetenz, Erfahrung und Motivation
Für verzichtbar gehalten und ausgeschlossen zu werden, gar weil sie Herausforderungen nicht mehr gewachsen seien, empfinden Menschen im Ruhestand als diskriminierend. Genauso wenig wollen sie auf billige Weise ausgenutzt werden.
Wieviel schöner und befriedigender kann es sein, gemeinsam mit anderen an einem Projekt zu arbeiten. In einem Verein, einer Initiative, in jedweder Gruppe wird man dann andere ehrenamtlich Tätige treffen und in einen mehr oder weniger intensiven sozialen Kontakt kommen. (Jürgen Lenski)
In den letzten Jahren meines freiberuflichen Wirkens als Älterer ist mir wieder besonders klar geworden, wie wichtig die aktiven Beziehungen zu anderen Menschen im Sozialraum – gerade auch zu Jüngeren – sind. (Bernt Renzenbrink)
Tausende von Bürgerinnen und Bürgern, die sich auf Zeit oder Dauer ehrenamtlich einsetzen, … haben viel bewegt, beispielsweise seit ich 1973 Journalist wurde: für Kinder, Jugendliche und Frauen, fürs Ehe-, Familien und Scheidungsrecht, für Breitensport und Kultur, Menschen mit Behinderungen und Krankheiten, Opfer von Straftaten und Strafgefangene, Migranten, für Mitbestimmung und Teilhabe, Stadt- und Regionalplanung, Quartiersarbeit, für Umwelt- und zugleich Katastrophenschutz. Ein kurzer Auszug einer langen Liste. (Ernst Rommeney)
Unabhängigkeit nachberuflich Engagierter
Nicht nur, dass die nachberuflich Engagierten in der Regel die bereits genannten Fähigkeiten mitbringen: Kompetenz, Erfahrung, Engagement, Motivation. Darüber hinaus haben sie meist auch den Vorteil der Unabhängigkeit. Wenn alles gut gegangen ist, müssen sie nichts mehr werden und sind nur noch denjenigen gegenüber rechenschaftspflichtig, mit denen sie arbeiten und für die sie sich engagieren. (Andreas Hänssgen)
Die Phase 60plus wurde vom Ausgang zum Eingang umgeschildert, hinter dem sich einmal mehr Chancen eröffnen. Ungewisse Risiken verschieben sich mehr und mehr gen „hohes Alter“, jenseits der Schwelle 80 Jahre. Für die einen gleitend oder die anderen abrupt, je nachdem, wie Kräfte oder Gesundheit schwanken und schwinden.
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