SozDia sieht Erfolge in Wohnungsnotfallhilfe durch Haushaltskürzungen bedroht
Die SozDia Stiftung Berlin sieht auch die Erfolge in der Berliner Wohnungsnotfallhilfe angesichts der drohenden Haushaltskürzungen in Gefahr.
In einem offenen Brief hatte sich am Donnerstagmittag die Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Berlin zu Wort gemeldet und diebefürchteten Einsparungen auf Bezirksebene in Feldern wie Jugendarbeit und Obdachlosenhilfe scharf kritisiert. Die SozDia betreibt in Berlin derzeit zwei Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe. Erfolgsgeschichten, wie die des Klienten Roland K. dürften in Zukunft noch seltener werden.
Hier können Sie die bewegende Geschichte des ehemaligen Obdachlosen Roland K. nachlesen.
„Ich musste raus aus diesem Sumpf!“
Einblicke in die Obdachlosigkeit. Ein Gespräch mit Roland Kämke
Was für viele unvorstellbar ist, war bis vor kurzem bittere Realität für Roland Kämke: Der 51-Jährige lebte auf der Straße. Für die Ansichtssache hat er mir von seiner bewegenden Geschichte und dem Weg zurück erzählt. Zum Treffen brachte er Donuts mit.
Roland, wie ist es dazu gekommen, dass du obdachlos wurdest?
Vor zehn Jahren hatte ich noch eine Bude. Ich habe dann eine künstliche Hüfte bekommen, war ein Jahr krankgeschrieben und habe gemerkt, dass ich die Miete nicht mehr zahlen konnte. Also die Miete schon, aber es hätte nicht mehr gereicht für die ganzen Rezepte für die Reha-Behandlungen und Medikamente. Ich habe dann acht Jahre in einer WG gelebt und bin arbeiten gegangen. Durch Corona hat sich die WG aber aufgelöst. Es war wie eine Kettenreaktion gewesen und plötzlich saß ich auf der Straße. Du hast zwar irgendwie keine Schuld, aber plötzlich rutschst du so tief ab.
Zwei Jahre hast du dann auf der Straße gelebt - was hat sich geändert, dass du dir Hilfe gesucht hast?
Ich musste raus aus diesem Sumpf. Und dann habe ich einen getroffen, der zuvor selbst obdachlos war. Der hat mir von der Wohnungsnotfallhilfe erzählt. Ich habe überlegt, ob ich den Mut dazu habe, da reinzugehen. Aber ich wusste auch, dass das Wohnungsproblem immer größer wird – „du brauchst Hilfe, du schaffst das alleine nicht mehr“ habe ich mir gesagt. Und so habe ich Frau Schreier (Fanny Schreier, Wohnungsnotfallhilfe, Anm. d. Red.) kennengelernt.
Wie ging es dann weiter?
Sie hat mich dann eingeladen, meine Geschichte angehört, Fragen gestellt und mir meinen Betreuer Oliver vorgestellt. Ich hatte zum Glück kein Alkohol- oder Drogenproblem. Ich habe nur vor zehn Jahren den Fehler gemacht, dass ich die Wohnung aufgegeben habe. Das hätte ich nicht tun dürfen. Ich hätte mir eine Schuldnerberatung holen müssen. Mir wurde dann mit dem ganzen Papierkram geholfen. Weil ich keine Schulden bei der Krankenkasse hatte, ging alles recht schnell und schon nach zwei Monaten hatte ich eine vorläufige Wohnung. Da bin ich wieder drin gewesen.
Wie war es für dich nach so langer Zeit, wieder ein Dach über dem Kopf zu haben?
Ich konnte ein paar Tage lang nicht im Bett schlafen - der Körper gewöhnt sich halt an den harten Boden. Aber dann wurde alles besser. Ich hatte keinen Stress mehr. Ich hatte meine Ruhe. Ich musste mir keinen Kopf mehr machen, wo ich die nächste Nacht schlafen kann. Besonders, wenn es kalt ist und dann noch mit meiner Hüfte. Bei fünf Grad Minus braucht man doch schon irgendwie einen Unterschlupf. Ich war wieder mein eigener Herr.
Wie fühlt sich das an?
Seit ich die Wohnung habe, bin ich wieder in die richtige Gesellschaft gekommen, wo man sagen kann, man kann wieder was reißen. Auch gesundheitlich ging es wieder besser. Es war ja auch nicht mehr so viel Druck im Kopf. Ich konnte die ganzen Sachen abarbeiten. Und wenn ich jetzt ein Problem habe, dann wird mir hier immer geholfen.
Du hast ja wirklich die absolute Kälte kennengelernt, als du auf der Straße leben musstest. Was hat dich da angetrieben, weiterzumachen?
Mehr als im Sumpf liegen kannst du nicht. Ich habe viele Leute gesehen, denen ging es noch dreckiger. Und manche Leute leben schon so lange auf der Straße, die wollen gar nicht mehr weg. Und alle trinken Alkohol. Wenn es kalt ist, trinken sie Schnaps. Aber das ist nicht umsonst. Sie schlafen dann ein und erfrieren, da kenne ich auch zwei. Oder denen ist der halbe Fuß abgefault. „So tief kannst du nicht fallen - du bist früher arbeiten gewesen!“ habe ich mir gesagt.
Das ist stark!
Hast du Familie oder Freunde?
Meine Eltern sind tot - mein Vater ist vor 18 Jahren an Krebs gestorben, meine Mutter drei Jahre später. Ich habe noch ein paar Kumpels, die mich auch unterstützt haben, weil sie gesehen haben, der will aus dem Sumpf hier raus. Und ich hatte auch wieder die Möglichkeit, mich zu bedanken, bisschen Spritgeld zu geben, was zu Essen und zu Trinken anzubieten. Das war das A und O. Und die meisten Leute auf der Straße haben das so gar nicht mehr. Die sind einfach weg.
Und hast du jetzt noch Kontakt zur Straße?
Also zu zwei Leuten im Obdachlosenheim und zu einem, den kenne ich von früher mit einer tragischen Geschichte: Er und seine Freundin haben gestritten, sie ist ins Auto gestiegen und hat sich totgefahren. Da hat es bei seiner Psyche „klack“ gemacht und er hat ein Alkoholproblem bekommen. Dem habe ich von der Hilfe erzählt: „Versuch doch nochmal, den Weg zu machen“. Ich wusste, allein schafft er es nicht. Der muss zu einem Familienmitglied. Wir haben dann die letzte Familienangehörige gefunden, eine Tante aus Luckenwalde. Die hat ihn dann aufgenommen.
Das finde ich bemerkenswert, wie du...
Ich bin zufrieden, dass ich zu den Leuten gegangen bin, die mir geholfen haben. Überleg dir mal, ich hätte die Diagnose Diabetes bekommen, als ich noch auf der Straße war...bin ich schon sehr glücklich, dass ich jetzt die Möglichkeiten habe, mit der Krankheit umzugehen.
Wieso sprichst du so offen über deine Geschichte?
Ich bin nicht der Einzige. Es gibt viele Leute, die zwar abgestürzt sind, aber die da raus wollen, wieder ins normale Leben zurück. Ich habe so viele Menschen in dem Sumpf gesehen, aber das muss nicht sein. Viele wissen einfach nicht, dass es solche Einrichtungen gibt. So wie ich damals.
Warst du auch mal im Obdachlosenheim?
Ich habe mir das angeguckt. Die Leute dort leben einfach so vor sich hin und denken, sie haben ihr Bettchen und das reicht. Das ist doch kein Leben, keine eigenen vier Wände, in denen man etwas gestalten kann. Ich hab meinen eigenen Kühlschrank, ich kann einkaufen, ich kann Essen und mir etwas Warmes machen, wann ich Lust habe.
Seit ich meine Wohnung habe, lebe ich wieder gesünder, koche mir Kartoffeln, mache mein eigenes Mittagessen, jeden Tag. Das muss schon sein.
Was gibt es heute?
Currywurst mit Sauerkohl und Kartoffeln, ganz schnell gemacht.
Guten Appetit und vielen Dank für Deine Offenheit!
(Interview: Stephan Jung)